„Bei Gelenkschmerzen hilft kein Schongang.“ gettyimages.de
Experten-Interview

„Bei Gelenkschmerzen hilft kein Schongang.“

Im Winter leiden viele Menschen unter oftmals starken Schmerzschüben in Hüfte, Knien und anderen Gelenken. Doch was ist Schmerz eigentlich genau, wie entsteht er und wie lässt er sich wirksam bekämpfen? Das Experten-Interview mit Professor Dr. Sven Ostermeier, leitender Orthopäde und Sportmediziner der Gelenk-Klinik Gundelfingen:
Herr Professor Ostermeier, was genau ist eigentlich Schmerz?

Professor Dr. Sven Ostermeier: Schmerzen sind in erster Linie biologisch sinnvolle Warnsignale. Diese informieren uns über Schäden und Entzündungen. Schmerzen legen uns meist ein heilungsförderndes Verhalten nahe – also Ruhe, Entlastung und Schonung. Damit hilft Schmerz als wichtiges Signal unseres Körpers unser Verhalten so zu regulieren, dass wir Schäden vom Organismus abwenden oder ausheilen. Das Schmerzgefühl führt uns aber stets in die Irre, wenn die Schmerzen neurogen sind - also durch Beschädigung, Einklemmung oder Stoffwechselprobleme der Nerven selbst ausgelöst werden. In diesen Fällen können Ruhe und Bewegungsvermeidung den Schmerz sogar chronisch werden lassen.

Wie vermeide ich ein sogenanntes Schmerzgedächtnis?

Professor Ostermeier: Halten Schmerzen über längere Zeit an oder werden diese als sehr belastend empfunden, so führt das gegebenenfalls zu einem schädlichen Schmerzgedächtnis. In diesem Fall können bereits minimale Reize erhebliche Beschwerden auslösen – und das selbst dann, wenn die eigentliche Ursache der Schmerzen längst beseitigt wurde. Leider gibt es kein pharmakologisches Verfahren, um das Schmerzgedächtnis wieder zu löschen. Schmerzmittel helfen also nicht. Ganz wichtig ist es deshalb, akute Schmerzen rechtzeitig zu behandeln, so dass erst gar kein Schmerzgedächtnis entsteht. Mit Hilfe von elektrischen Verfahren wie TENS (Transkutane Elektrische Neurostimulation) kann das Schmerzgedächtnis therapeutisch beeinflusst werden.

Wann empfehlen Sie eine Selbstbehandlung?

Professor Ostermeier: Bei kurzzeitigen „erträglichen“ Schmerzen spricht in der Regel nichts gegen eine Selbstbehandlung durch Ruhe oder frei verfügbare Schmerzmittel. Dauern die Beschwerden aber bereits mehrere Tage an oder werden sie immer schlimmer, so ist eine ärztliche Abklärung erforderlich.

Welche Schmerzen lassen sich mit Medikamenten heilen?

Professor Ostermeier: Medikamente können Schmerzen in der Regel nicht heilen. Sie stellen meist eine Symptom- und keine Ursachenbehandlung dar: Es ist so, als würde man im Auto die rote Systemwarnlampe ausschalten, ohne den Motorschaden zu reparieren, den sie anzeigt. Werden die Schmerzen orthopädisch verursacht, liegt also etwa ein Gelenkverschleiß oder eine Verletzung vor, muss dem Körper Zeit gegeben werden, den Strukturschaden zu heilen. Bis dieser Schaden „kuriert“ ist bzw. durch Physiotherapie ausgeglichen oder operativ versorgt wurde, sind Schmerzmedikamente eine wirksame Übergangs-Hilfe. Vielfach bringen auch Wärmeanwendungen Linderung.

Was bewirken Wärmeanwendungen genau?

Professor Ostermeier: Wärmeanwendungen regen die Durchblutung und somit den Stoffwechsel an. Das Gelenk wird beweglicher, die Muskulatur lockerer: Verspannungen und Rückenschmerzen lassen sich damit gut behandeln - am besten schon an den ersten Tagen der Beschwerden. Zur Wahl stehen diverse Methoden, die alle gut wirken: Wärmepflaster regen dank ihres Cayennepfeffer-Extraktes die Durchblutung der Haut an und wirken schmerzstillend. Auch Kirschkern- oder Dinkelkissen können bei Rückenschmerzen Linderung bringen. Sie werden zuvor in der Mikrowelle oder im Backofen aufgewärmt. Hilfreich sind Wärmepflaster und –salben bei akuten Rückenschmerzen.

gelenkschmerzen schonen
Professor Dr. Sven Ostermeier , Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Sportmedizin, Chirotherapie und spezielle orthopädische Chirurgie, bei der Untersuchung einer Patientin

Und was bringt die „gute alte“ Wärmflasche?

Professor Ostermeier: Wärmflaschen sind ein Klassiker im Kampf gegen Gelenkschmerzen. Dank verschiedener Wärmestufen lassen sie sich gut den persönlichen Bedürfnissen anpassen. Temperaturen von 40 Grad und mehr können aber bei langem Gebrauch schädlich sein. Der Einsatz über Nacht sollte deshalb vermieden werden. Grundsätzlich ist bei Wärmeanwendungen wegen der Gefahr von Verbrühungen oder Verbrennungen Vorsicht geboten. Wer auf Nummer Sicher gehen möchte, der sollte zuvor den Arzt befragen.

Wann ist Kälte empfehlenswert, wann Wärme?

Professor Ostermeier: Wärme dient der Behandlung von chronischen Gelenksbeschwerden (Beschwerden, die länger als vier Wochen anhalten). Kälte eignet sich bei akuten Verletzungen und Entzündungen. Die Kälte sorgt für eine Reduktion der Schwellung und wirkt schmerzlindernd.

Warum leiden Frauen in den Wechseljahren verstärkt an Gelenkschmerzen?

Professor Ostermeier: Ursache für die plötzlichen Gelenkprobleme ist der mit den Wechseljahren auftretende Östrogenmangel. Dieser hat nicht nur sichtbare Folgen für das Bindewebe unter der Haut, sondern wirkt sich zudem auch auf jenes im Körper aus: Sinkt die Produktion dieses entzündungshemmenden Hormons, so werden Bindegewebe und Knorpel schlechter mit Gelenkflüssigkeit versorgt, Muskeln und Gelenke weniger durchblutet.

Weshalb kommt es im Winter vielfach zu starken Schmerzschüben in Hüfte, Knien und anderen Gelenken?

Professor Ostermeier: Ursache dafür ist der „heruntergefahrene“ Stoffwechsel, vermuten Experten. Die daraus resultierende schlechtere Durchblutung führt zu vermehrten Reibungsschmerzen in den Gelenken. Dennoch ist es fatal, den Schongang einzulegen. Denn da der Gelenkknorpel keine Blutgefäße besitzt, kann er nur bei regelmäßiger Bewegung über die Gelenkflüssigkeit mit wichtigen Nährstoffen versorgt und somit am Leben erhalten werden.

Steckt hinter starken Gelenkschmerzen stets eine Arthrose?

Professor Ostermeier: Nein, möglicherweise sind auch Gicht oder Rheuma die Ursachen. Treten in der kalten Jahreszeit vermehrt Schmerzen in angeschwollenen Knien oder im Nacken auf, so steckt dahinter übrigens nicht immer ein orthopädisches Problem. Eventuell haben diese auch eine psychische Ursache oder sind etwa Folge einer verschleppten sommerlichen Borreliose-Infektion. Klarheit bringt hier nur der Besuch beim Arzt. Kommen neben den Gelenkschmerzen weitere Beschwerden wie etwa starke Schwellungen, Hautrötungen, Atemnot, Schüttelfrost oder Fieber hinzu, so ist sofortige ärztliche Hilfe angebracht.

Über den Experten:

Professor Dr. Sven Ostermeier ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Sportmedizin, Chirotherapie und spezielle orthopädische Chirurgie. Der Schulter- und Knie-Experte arbeitet als leitender Orthopäde der Gelenk-Klinik Gundelfingen. Außerdem ist er Instruktor der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Arthroskopie.

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