Kolumne: „Lasst den Fußball beginnen“

Von: Ruud Gullit, Laureus Botschafter und Europameister 1988

Am Freitag beginnt die Europameisterschaft 2012 und ich kann vollkommen verstehen, warum die meisten Leute glauben, dass einer der zwei Top-Favoriten – Deutschland oder Spanien – gewinnen wird.

Aber ich glaube fest daran, dass mein Heimatland Niederlande es auch schaffen kann. Sie haben eine großartige Chance, das Turnier zu gewinnen.

Als Mannschaft sie sind zwei Jahre weiter als bei der WM 2010, bei der sie das Finale erreicht haben. Und sie haben einige der momentan besten Offensivspieler der Welt in ihren Reihen - Klaas-Jan Huntelaar, Robin van Persie, Arjen Robben, Ibrahim Afellay, Rafael van der Vaart, Wesley Sneijder, Dirk Kuyt.

Das Problem Hollands ist, dass die Mannschaft nicht immer die richtige Balance, die perfekte Form oder die beste Aufstellung gefunden hat.

Daher lautet die große Frage: Findet Trainer Bert van Marwijk die richtige Formel, um das Beste aus seinen Spielern zu herauszuholen?

Ich würde mich riesig freuen, wenn Holland den Titel gewinnt. Ich habe es immer genossen für Oranje aufzulaufen. Aber wenn sie es nicht schaffen und ich müsste mich zwischen Deutschland und Spanien entscheiden, würde ich auf Deutschland tippen.

Ich denke mit ihrer jungen, hungrigen Mannschaft können sie auch die Weltmeister aus Spanien knapp besiegen, bei denen vielleicht ein oder zwei Spieler ihren Zenit bereits überschritten haben.

Die Deutschen haben bei der letzten WM in Südafrika für so viel Unterhaltung gesorgt. Und sie haben großartige Spieler, denen ich sehr gerne zuschaue - Toni Kroos, Thomas Müller und Mesut Özil im Mittelfeld sowie Miroslav Klose im Sturm.

Und natürlich ihre zentrale Stütze im Mittelfeld: Bastian Schweinsteiger. Einige haben sich gefragt, ob er noch der gleiche sein wird, nachdem er im Champions League-Finale gegen Chelsea den entscheidenden Elfmeter für seine Bayern verschossen hat.

Ich kann die Antwort geben: Ja, wird er.

Es war ein schrecklicher Moment für ihn, aber er ist stark genug, sich zurück zu kämpfen. Der Gewinn der Europameisterschaft wäre sicherlich ein Trost für diesen traurigen Moment in der Allianz Arena.

Es wird zudem faszinierend zu sehen, wie sich der Heimvorteil für die Mannschaften aus Polen und der Ukraine auswirkt. Robert Lewandowski, Jakub Blaszczykowsky und Lukasz Piszczek haben mit ihrem Verein Borussia Dortmund eine weitere phantastische Saison erlebt. Lewandowski kann einer der Stars der Euro 2012 werden.

Er wurde mit 30 Toren, darunter einem Hattrick im DFB-Pokal-Finale gegen Bayern München, als Spieler der Saison 2011/12 geehrt.

Die Ukraine wird hoffen, dass Andrey Shevchenko ihnen durch die Gruppenphase hilft, aber ich befürchte, dass sie ihre Gruppe nicht überstehen.

Für Italien und England, zwei Länder in denen ich als Spieler eine tolle Zeit hatte, wird es, glaube ich, kein gutes Turnier.

Im englischen Fußball gibt es ein Problem: Die wichtigsten Positionen in den großen Clubs der Premier League sind mit ausländischen Spielern besetzt – egal ob Torwart, Verteidiger, Spielmacher oder Stürmer.

Obwohl England sehr gute Spieler hat, fehlt ihnen zum Beispiel ein Spielmacher auf Weltniveau.

Außerdem haben sie mit Roy Hodgson einen neuen Trainer, der erst vor sechs Wochen den Posten übernommen hat. Er verfügt über viel Erfahrung, aber die EM wird eine Herausforderung für ihn werden. Sechs Wochen sind sehr wenig Zeit, um eine Mannschaft auf ein internationales Turnier vorzubereiten.

Italiens Fußball findet sich inmitten von Korruptions-Vorwürfen und Spiel-Manipulationen wieder und die Polizei führt bei Tagesanbruch Razzien durch. Der italienische Ministerpräsident ruft sogar zu einer einstweiligen Einstellung des Fußballs auf. Das ist nicht gerade ideal für die italienischen Spieler, um sich auf die Europameisterschaft vorzubereiten.

Ich bin wirklich verärgert über das, was momentan im italienischen Fußball passiert. Es war eine Freude in Italien zu spielen und ich verdanke dem italienischen Fußball auch persönlich viel. Ich hoffe, dass die Querelen schnell ausgeräumt werden können. Ohne eine starke italienische Liga und Nationalmannschaft ist der europäische Fußball geschwächt.

Frankreich hat einige hervorragende Spieler – wie immer. Aber es sieht nicht so aus, als könnte Laurent Blanc und Frankreich bald wieder an die großen Tage anknüpfen, als Frankreich zunächst die WM 1998 und dann die EM 2000 gewinnen konnte.

Zu Anfang dieses Blogs habe ich Griechenland erwähnt. Als sie 2004 die Europameisterschaft gewannen, haben sie auch den Laureus World Team of the Year Award verliehen bekommen. Wer auch immer in Polen und der Ukraine Europameister wird, ist einer der Favoriten auf eine Nominierung für diese Ehrung im nächsten Jahr.

Wir alle, egal wen wir unterstützen, werden diese Europameisterschaften genießen und können uns auf die Entdeckung neuer, großartiger Spieler und toller Spiele freuen.

Ich freue mich sehr auf die nächsten Wochen, in denen ich meine Ansichten auf laureus.com mit euch teilen werde.

Lasset den Fußball beginnen.

Quelle: www.laureus.com