Teamcheck Italien – Der ewige Spielverderber
- Redaktion
Bereits zum achten Mal treffen Italien und Deutschland am Donnerstag bei einem großen Turnier aufeinander. Die Bilanz aus DFB-Sicht ist ernüchternd: Konnte man in vier Vorrundenspielen bei Welt- und Europameisterschaften immer ein Unentschieden erzielen, war in den bisherigen drei K.O.-Duellen gegen die „Squadra Azzurra“ stets Endstation: Im WM-Halbfinale 1970 unterlag man im „Jahrhundertspiel von Mexico-City“ mit 3:4 nach Verlängerung, 1982 siegten die Italiener im WM-Finale von Madrid klar mit 3:1, und beim „Sommermärchen“ 2006 beendeten die Südeuropäer den deutschen Titeltraum im Halbfinale von Dortmund durch einen Doppelschlag in den Schlussminuten der Verlängerung mit 2:0. Deutschland hat also nicht nur eine Rechnung mit dem viermaligen Weltmeister und einmaligen Europameister offen. Doch nie zuvor standen die Vorzeichen für die Weiß-Schwarzen so gut wie dieses Mal.
Die Ausgangslage
Nach den Vorleistungen bei dieser Europameisterschaft geht die deutsche Mannschaft als (leichter) Favorit ins Spiel. Die DFB-Elf ist über acht Jahre harmonisch gewachsen, in das funktionierende Konstrukt konnten immer wieder punktuell neue Spieler integriert werden. Der Kader ist in der Breite neben den Spaniern der beste, selbst auf der Bank sitzt eine Handvoll Spieler, die eine Partie drehen kann.
Die Italiener sind in ihrer Entwicklung einen, wenn nicht gar zwei Schritte zurück. Erst vor zwei Jahren, nach dem Vorrunden-Aus bei der WM 2010 in Südafrika, wurde der längst überfällige Umbruch vollzogen. Viele der in die Jahre gekommenen Weltmeister von 2006 wurden aussortiert oder gaben freiwillig ihren Rücktritt bekannt. Weil die Nachwuchslage in Italien weniger rosig ist als in Deutschland, finden sich im aktuellen Kader deutlich mehr Mitt- und Endzwanziger als „Rohdiamanten“ um die 20. Viele Spieler absolvieren gerade ihr erstes großes Turnier, haben sich jedoch auf höchstem Niveau behauptet. Das spricht für die Klasse der Mannschaft.
Die Stars
Von den alten Helden sind nur noch wenige übrig geblieben, doch die sind umso wichtiger: Torhüter und Kapitän Gianluigi Buffon (34) ist immer noch einer der weltbesten Keeper, auch als Führungspersönlichkeit ist er nicht zu ersetzen. Der als Leisetreter bekannte Spielmacher Andrea Pirlo (33) spielt ein überragendes Turnier. Der Juventus-Spieler ist nach wie vor einer der besten Ballverteiler und Standardschützen der Welt. Pirlos einzige Schwäche, die mangelnde Schnelligkeit, weiß er durch Ballsicherheit, Übersicht und Handlungsschnelligkeit zu kompensieren. Die dritte Schlüsselfigur ist der Römer Daniele de Rossi (28). Der Mittelfeldspieler ist gleichermaßen Gestalter wie Zerstörer. In den Vorrundenspielen koordinierte er als „Libero“ die italienische Defensivarbeit. Geht er mit nach vorne, ist er immer wieder als Schütze gefährlich.
Die Wundertüte: Mario Balotelli
Ob er einmal einer der besten Stürmer der Welt wird, lässt sich noch nicht beantworten. Doch die Anlagen dafür bringt Angreifer Mario Balotelli (21) auf jeden Fall mit. Der Mann von Manchester City ist physisch enorm stark, ein ständiger Gefahrenherd und löst viele Situationen vor dem Tor unkonventionell, wodurch er nicht selten Gegner und Mitspieler überrascht. Manchmal fehlt ihm noch der richtige „Plan“ für bestimmte Situationen, wie z.B. im Vorrundenspiel gegen Spanien, als er, allein auf das Tor zulaufend, das Tempo dermaßen verschleppte, dass die Iberer den Ball noch locker klären konnten, ehe Balotelli zum Abschluss kam. Balotelli, der sich jüngst als „erwachsener Peter Pan“ bezeichnete und in bester Lothar-Matthäus-Manier auch schon mal in der dritten Person von sich selber spricht, ist unberechenbar. Daher ist ihm ein Doppelpack gegen Deutschland ebenso zuzutrauen wie ein Totalausfall.
Typisch Italien
Taktisch ist kaum eine Mannschaft so stark wie Italien. Das ist in dem südeuropäischen Land schon gute Tradition. Seit Trainer Cesare Prandelli das Zepter schwingt, sind die Zeiten des totalen Catenaccio jedoch vorbei. Die Mannschaft findet eine gute Balance zwischen Defensive und Offensive, wie vor allem das 1:1 gegen Spanien in der Vorrunde gezeigt hat, als man mit einer Fünfer-Abwehr und vier Mittelfeldspielern davor verteidigte, zugleich aber immer wieder zu guten Chancen kam.
Im Viertelfinale gegen England spielten die Italiener dagegen deutlich offensiver mit einem 4-4-2. Sie dominierten das Spiel und kamen letztlich verdient zum Sieg – wenn auch erst nach Elfmeterschießen. Man darf gespannt sein, wie die Italiener gegen die Deutschen zu Werke gehen werden. Der bisherige Turnierverlauf hat gezeigt, dass alle Mannschaften gegen die DFB-Elf betont defensiv antreten. Die „Variante Spanien“ ist daher wahrscheinlicher als die „Variante England“. Das verheißt wieder einmal hohe Ballbesitzanteile für die Mannschaft von Jogi Löw. Allerdings muss das nichts heißen, denn die Italiener sind beim Umschalten brandgefährlich. Bemerkenswert ist vor allem, wie die Italiener den Ball nach vorne tragen. Entgegen dem aktuellen Trend, sieht man bei der „Squadra Azzurra“ des Öfteren auch lange Bälle. Auch der Abschluss aus der zweiten Reihe, der bei den anderen Nationen eine Rarität ist, wird von den Italienern häufig gesucht.
Prognose
Italien ist der größte „Brocken“ – nicht nur getreu dem Herberger-Bonmot „Der nächste Gegner ist immer der schwerste“. Die „Squadra Azzurra“ steht defensiv kompakt und dürfte dennoch zwangsläufig zu einigen Torchancen kommen. Vor allem gefährliche Freistoßsituationen sollten die Deutschen vermeiden, hier hat Italien mit Andrea Pirlo einen der letzten verbliebenen Spezialisten auf der Welt.
Zieht die deutsche Mannschaft aber ihren „Stiefel“ durch und gelingt es, die Italiener dauerhaft in der eigenen Hälfte zu binden, wird das Team von Jogi Löw zwangsläufig zu Chancen (und Toren) kommen. Es wird sicher ein enges Spiel, doch Deutschland wird seiner Favoritenrolle gerecht, zieht ins Endspiel ein – und begleicht ganz nebenbei eine alte Rechnung.