Brian Matangelo on Unsplash
Mentales Risiko Leistungssport
- Dr. Christian Graz
Psychotherapie für Spitzensportler wird immer wichtiger. Viele Leistungssportler leiden unter ernsthaften und nachhaltigen Störungen.
Bald werden die Olympischen Spiele in Tokio wieder zwei Wochen lang herrliche Bilder um die Welt senden. Junge, kraftvolle Menschen messen sich in unterschiedlichsten Sportarten. Die Sieger werden zu Helden. Längst ist bekannt, dass zum Wettstreit unter Spitzensportlern mentale Stärke gehört. Dass im Kampf um Medaillen also auch Sportpsychologen den Athleten Hilfestellungen geben, ist akzeptiert und weit verbreitet, auch wenn darüber nicht täglich geredet wird und der Mental-Coach nicht mit auf dem Podest steht.
Daneben gibt es aber weiterhin eine Schattenseite, ein Tabuthema im Leistungssport, die besorgniserregend ist: Ernsthafte psychische Erkrankungen bei Spitzensportlern. Seit dem tragischen Suizid des deutschen Fußballnationaltorhüters Robert Enke vor über zehn Jahren hat sich daran nur unwesentlich etwas verändert. Die Probleme werden weiterhin totgeschwiegen oder zum Teil gar nicht erkannt. Dabei nehmen leistungssportassoziierte Störungen eher zu, ohne dass diese klinische Beobachtung durch Studien ausreichend belegt wäre. Die Dunkelziffer dürfte in diesem Bereich besonders hoch sein. Leistungssportler öffnen sich zu selten, wenn ihnen ihre Lebenssituation über den Kopf wächst.
Eine Hemmnis: Die Krankheitseinsicht und das Verständnis sind nicht nur bei den Betroffenen selbst gering, sondern leider auch bei Trainern, Betreuern und innerhalb der Familie. Fachlich ausgedrückt: Neben den komplexen wechselseitigen Beziehungen und des sehr spezifischen Umfelds von Spitzensportlern sind es dessen stark leistungsorientierte Grundpersönlichkeit, die außergewöhnlichen physisch-mentalen Anforderungen in der Wettkampfvorbereitung mit kräftezehrenden Trainingseinheiten und auch die Besonderheiten beim Abwägen von Medikamentengabe, die so manchen Athleten einem gefährlichen Über-Stress aussetzen.
Wir vergessen gerne, dass Spitzensportler in der Regel noch sehr jung sind und mit Stressoren wie extrem hohem Leistungsdruck, der Abhängigkeit von der öffentlichen Berichterstattung, von Medien und Sportjournalisten gerade in Phasen des Misserfolgs, die zunehmend unsichere berufliche Perspektive, die chronische Angst vor dem unerwarteten und plötzlichen Ausscheiden infolge einer Verletzung oder aber das altersbedingte Karriereende zurechtkommen müssen. Bei diesen typischen, in vielen Fällen durchaus quälenden Störfaktoren ist es kein Wunder, dass die Aufrechterhaltung der mentalen Gesundheit im Spitzensport nicht jedem gelingt. Gleichzeitig wissen die Athleten, dass eine gesunde Psyche ein zentraler Faktor beim Abrufen von Extremleistungen darstellt. Die Ausübung von Ausdauer- und Kraftsporten auf höchstem Niveau birgt also überdurchschnittliche psychische Risiken.
Gleichzeitig ist der Zugang zu einer evidenzbasierten psychosomatisch-psychotherapeutischen Diagnostik und Behandlung für Leistungssportler unvergleichlich schwieriger als für die Allgemeinbevölkerung. Psychotherapie wird unter Sportlern und ihrem Umfeld weiterhin als Schwäche ausgelegt auf dem Weg zum Siegerpodest. Dass nicht nur eine Muskelfaser reißen kann, sondern auch die Psyche verletzlich ist, passt nicht ins Bild eines Berufssportlers. Es bräuchte also ein Expertennetzwerk von professionellen Anlaufstellen, um diesem Stigma entgegenzuwirken und der Sportspezifität psychischer Störungen gerecht zu werden.
Auch nach über 20jähriger Berufserfahrung habe ich einen großen Respekt vor der Verantwortung und den vielfältigen Herausforderungen bei der Behandlung von Spitzensportlern. Ich erlebe, dass der Erfolgsdruck im athletischen Kotext manchmal zum Davonlaufen ist und freilich auch für den Psychotherapeuten unangenehm sein kann. Insofern bedarf es der erwähnten Vernetzung mit unterschiedlichsten Fachrichtungen, um der maximalen psychischen und körperlichen Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Spitzensportlers im Ergebnis Rechnung zu tragen.
Zur Person:
Dr. Christian Graz ist Chefarzt der Psychosomatik der Max Grundig Klinik auf der Bühlerhöhe. Graz ist Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Verhaltenstherapeut, Suchtmediziner und Forensiker, der langjährig Führungskräfte wie auch Berufssportler behandelt. Auf netzathleten.de gibt er in seiner Reihe "Fit mit Köpfchen" mentale Tipps für mehr Fitness und Leistungsfähigkeit.
Daneben gibt es aber weiterhin eine Schattenseite, ein Tabuthema im Leistungssport, die besorgniserregend ist: Ernsthafte psychische Erkrankungen bei Spitzensportlern. Seit dem tragischen Suizid des deutschen Fußballnationaltorhüters Robert Enke vor über zehn Jahren hat sich daran nur unwesentlich etwas verändert. Die Probleme werden weiterhin totgeschwiegen oder zum Teil gar nicht erkannt. Dabei nehmen leistungssportassoziierte Störungen eher zu, ohne dass diese klinische Beobachtung durch Studien ausreichend belegt wäre. Die Dunkelziffer dürfte in diesem Bereich besonders hoch sein. Leistungssportler öffnen sich zu selten, wenn ihnen ihre Lebenssituation über den Kopf wächst.
Eine Hemmnis: Die Krankheitseinsicht und das Verständnis sind nicht nur bei den Betroffenen selbst gering, sondern leider auch bei Trainern, Betreuern und innerhalb der Familie. Fachlich ausgedrückt: Neben den komplexen wechselseitigen Beziehungen und des sehr spezifischen Umfelds von Spitzensportlern sind es dessen stark leistungsorientierte Grundpersönlichkeit, die außergewöhnlichen physisch-mentalen Anforderungen in der Wettkampfvorbereitung mit kräftezehrenden Trainingseinheiten und auch die Besonderheiten beim Abwägen von Medikamentengabe, die so manchen Athleten einem gefährlichen Über-Stress aussetzen.
Wir vergessen gerne, dass Spitzensportler in der Regel noch sehr jung sind und mit Stressoren wie extrem hohem Leistungsdruck, der Abhängigkeit von der öffentlichen Berichterstattung, von Medien und Sportjournalisten gerade in Phasen des Misserfolgs, die zunehmend unsichere berufliche Perspektive, die chronische Angst vor dem unerwarteten und plötzlichen Ausscheiden infolge einer Verletzung oder aber das altersbedingte Karriereende zurechtkommen müssen. Bei diesen typischen, in vielen Fällen durchaus quälenden Störfaktoren ist es kein Wunder, dass die Aufrechterhaltung der mentalen Gesundheit im Spitzensport nicht jedem gelingt. Gleichzeitig wissen die Athleten, dass eine gesunde Psyche ein zentraler Faktor beim Abrufen von Extremleistungen darstellt. Die Ausübung von Ausdauer- und Kraftsporten auf höchstem Niveau birgt also überdurchschnittliche psychische Risiken.
Was müsste geschehen?
Da Topathleten nach aller Erfahrung in persönlichen Krisen nicht direkt zu Sporttherapeuten oder Psychiatern gehen, ist die vertrauensvolle Vernetzung und interdisziplinäre Zusammenarbeit mit niedergelassenen Sportmedizinern und Mental-Coaches notwendig. Es geht darum, die Übergänge von ambulanter zu stationärer Versorgung und Behandlung im Leistungssport zu gewährleisten.
Sportspezifische Therapien erfordern nicht nur ein besonderes Spezialwissen, sondern viel Fingerspitzengefühl und ein hohes Maß an Flexibilität. Top-Athleten brauchen bei psychischen Störungen ein multiprofessionelles Behandlungsteams. Kürzlich habe ich zum Beispiel im Schulterschluss mit einem renommierten Sportzahnmediziner einen Rugby-Spieler behandelt, der sich im Eifer des Gefechts eine Zahn- und Kieferverletzung zuzog. Da konnte ich im Austausch mit dem Kollegen viel lernen über spezielle Entspannungsschienen, die problematische Mundhygiene von Topathleten und, dass Zahnschmerzen bei den letzten olympischen Spielen zu den häufigsten Gesundheitsproblemen der Sportler gehörten. Solche Beispiele des Zusammenwirkens sind allerdings selten. Diagnostik, Betreuung und fachübergreifende Therapie im Spitzensport sind leider noch ungenügend und dringend verbesserungsbedürftig.Gleichzeitig ist der Zugang zu einer evidenzbasierten psychosomatisch-psychotherapeutischen Diagnostik und Behandlung für Leistungssportler unvergleichlich schwieriger als für die Allgemeinbevölkerung. Psychotherapie wird unter Sportlern und ihrem Umfeld weiterhin als Schwäche ausgelegt auf dem Weg zum Siegerpodest. Dass nicht nur eine Muskelfaser reißen kann, sondern auch die Psyche verletzlich ist, passt nicht ins Bild eines Berufssportlers. Es bräuchte also ein Expertennetzwerk von professionellen Anlaufstellen, um diesem Stigma entgegenzuwirken und der Sportspezifität psychischer Störungen gerecht zu werden.
Auch nach über 20jähriger Berufserfahrung habe ich einen großen Respekt vor der Verantwortung und den vielfältigen Herausforderungen bei der Behandlung von Spitzensportlern. Ich erlebe, dass der Erfolgsdruck im athletischen Kotext manchmal zum Davonlaufen ist und freilich auch für den Psychotherapeuten unangenehm sein kann. Insofern bedarf es der erwähnten Vernetzung mit unterschiedlichsten Fachrichtungen, um der maximalen psychischen und körperlichen Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Spitzensportlers im Ergebnis Rechnung zu tragen.
Zur Person:
Dr. Christian Graz ist Chefarzt der Psychosomatik der Max Grundig Klinik auf der Bühlerhöhe. Graz ist Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Verhaltenstherapeut, Suchtmediziner und Forensiker, der langjährig Führungskräfte wie auch Berufssportler behandelt. Auf netzathleten.de gibt er in seiner Reihe "Fit mit Köpfchen" mentale Tipps für mehr Fitness und Leistungsfähigkeit.