Geschichte der Sportprothese – Vom schlichten Hilfs- zum Dopingmittel? gettyimages

Geschichte der Sportprothese – Vom schlichten Hilfs- zum Dopingmittel?

  • Martin Imruck
Vor knapp 25 Jahren lief der Amerikaner Dennis Oehler bei den Paralympics in Seoul die 100 Meter in 11,73 Sekunden. Das besondere hierbei war nicht nur, dass er die 12-Sekunden-Marke unterbot, sondern auch die moderne Prothese mit der er unterwegs war. Seitdem hat sich ein regelrechtes Wettrüsten im Bereich der Prothesenentwicklung abgezeichnet.

Startschuss der Hochleistungsprothesen

Mit einem flexibel federnden Prothesenfuß brachte Oehler einen Stein ins Rollen, der bis heute nicht an Fahrt verloren hat. Er ließ die Athleten mit Behinderung erkennen, dass eine Amputation oder eine Behinderung keinesfalls das Karriereende für Leistungssportler bedeuten muss.

Seit diesem Zeitpunkt gab es keine Paralympischen Spiele, bei denen es nicht technische Neuheiten und daher auch neue Bestzeiten zu bestaunen gab. Die sich verbessernden Rahmenbedingungen führten dazu, dass die Materialien weiterentwickelt werden konnten und im Behindertensport eine regelrechte Leistungsexplosion stattfand. Bereits in Sydney 2000 wurden alleine in der Leichtathletik 104 Weltrekorde aufgestellt. Rekorde, die vor allem an der Entwicklung der Prothesen, in anderen Sportarten an der Weiterentwicklung der Rollstühle, festzumachen sind.

Behindertensport im Aufschwung

Der Behindertensport allgemein erfährt, wie die Paralympics, seit mehreren Jahren einen unglaublichen Aufschwung, was Aufmerksamkeit und Anerkennung unter der Bevölkerung angeht. Natürlich ist die Präsenz der Ausnahmesportler auch auf medialer Ebene weiter gestiegen. Einige Athleten konnten sich diese erhöhte Aufmerksamkeit zu Nutze machen und erhielten Unterstützung von Unternehmen, die ihnen bei der Entwicklung ihrer Prothesen halfen. Diese konnten dabei auch gezielt auf die individuellen Wünsche und Vorschläge der Sportler eingehen.

Sportprothesen heute und deren Funktion

In den letzten Jahren trieben deshalb viele Spitzenathleten die Entwicklung ihrer Prothesen weiter voran. Zusammengesetzt aus Titan und einem Kohlefaserfuß, sind die verwendeten Materialien heute stets die gleichen. Genereller Vorteil dieser Materialien ist, dass sie die Kräfte, welche beim Auftreffen des Fußes auf dem Boden entstehen, besonders gut speichern und zur Vorwärtsbewegung nutzen können. Dabei soll so wenig Energie wie nur möglich verloren gehen.

Das Ziel der Athleten und der Entwickler ist es deshalb, durch individuelle Einstellungen den Energieverlust bestmöglich zu reduzieren. So kann der Vorwärtsdrang effektiv gesteigert werden und sich dabei auch positiv auf die Geschwindigkeit des Sportlers auswirken.

Problematik des Technischen Dopings

Obwohl sich die paralympischen Spitzensportler insgesamt immer mehr an die Leistung nichtbehinderter Sportler angenähert haben, gibt es bei den Paralympics selbst noch immer große Leistungsunterschiede. Da mehrere Sportler der Meinung sind, dass ungleiche technische Voraussetzungen der Grund dafür sind, plädieren sie nun auf die Chancengleichheit aller Athleten.

Viele der Benachteiligten sprechen in diesem Zusammenhang von einer Ungleichverteilung. Demnach sollen nicht alle Sportler Zugriff auf das Know How und die individuelle Betreuung der Prothesenhersteller haben, welches den Spitzenathleten zu Gute kommt. Der Begriff des „Technischen Dopings“, der den Vorwurf beinhaltet, dass ein Athlet nur so gut sei, wie sein Material, war geboren. Von Seiten der Sponsoren und der kritisierten Sportler werden diese Vorwürfe jedoch zurückgewiesen.

Rolle des Internationale Paralympischen Committee

Ein weiterer Kritikpunkt setzt ebenfalls beim Material an, kritisiert aber nicht bestimmte Sportler, sondern das Internationale Paralympische Committee (IPC). Dieses hatte erst 2011 neue Grundsätze verordnet. Denen zufolge lässt sich mit Hilfe einer komplexen Formel aus der Dynamik und der Größe des Athleten die erlaubte Länge der Prothese festgelegen.

Genau hier setzt die Kritik der Athleten an, denn die Länge der Prothese hat entscheidenden Einfluss auf die Größe der Schritte und ist damit für die Geschwindigkeit des Sprinters nicht unwesentlich. Bei der aktuellen Regelung kann die Länge der Schritte im Sprint um bis zu 20 cm variieren. Die benachteiligten Athleten wünschen sich daher eine enger gefasste Materialbestimmungsregel für die Protheseneigenschaften. Dadurch erhoffen sie sich mehr Gleichheit in Bezug auf die Voraussetzungen für ihre Rennen.

Sinnbildlich - Der Fall des Oscar Pistorius

Oscar Pistorius gehört zu den Athleten, die es als Erstes schafften, ihre Sportprothese mit Hilfe von Sponsoren zu perfektionieren. Aufgrund seiner Überlegenheit wurde der Südafrikaner in der Vergangenheit oftmals mit Vorwürfen des „technischen Dopings“ konfrontiert. In London 2012 wurde Pistorius durch den Brasilianer Oliveira geschlagen. Nun erhob Pistorius selbst schwere Vorwürfe und beschuldigte den Brasilianer des „technischen Dopings“.

Der Fall Oscar Pistorius zeigt, wie schnell der vermeintliche „technische Doper“ auch zum Kritiker werden kann. Bleibt eine angemessene Regeländerung seitens des IPC und eine klaren Stellungnahme zum „technischen Doping“ aus, werden einige Athleten auch in Zukunft gegen die Benachteiligungen kämpfen müssen.

Im Interesse eines fairen Wettbewerbes wären solche Regelvorgaben sicherlich wünschenswert. Wahrscheinlich – und leider – ist dieser Ansatz aber genauso realitätsfern, wie eine generelle Chancengleichheit im Sport zu erreichen. Denn, wer mehr Geld zur Verfügung hat, hat allein schon bessere Trainingsbedingungen und wird daher meist auch bessere Leistungen bringen.

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