Interview mit Peter Habeler – Der Bergprofessor aus dem Zillertal
- Derk Hoberg
Die Szenerie in der wir Peter Habeler in seiner Heimat Mayrhofen trafen, dürfte ihm bekannt sein. Nebel auf der 2348 Meter hohen Ahornspitze in den Zillertaler Alpen. Kein Problem, denn Habeler hat schon Schlimmeres in weitaus größeren Höhen erlebt. Gemeinsam mit Reinhold Messner setzte Peter Habeler 1978 alpinistische Maßstäbe. Die beiden erklommen den Mount Everest ohne künstlichen Sauerstoff. Das war zuvor noch niemand anderem gelungen. Während Messner sich in der Folge aufmachte, alle 14 Achttausender zu besteigen, unterbrach Habeler das extreme Höhenbergsteigen zeitweise und brachte es schließlich immer noch auf insgesamt fünf Achttausender.
Peter Habeler wurde aufgrund seiner zahlreichen Veröffentlichungen und seines Werkes in den Bergen 1999 zum Professor ernannt. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne. Einen Auszug aus seinem Gipfelbuch findet Ihr im Anschluss an unser Gespräch mit dem Mayrhofener.
netzathleten: Peter Habeler, die Frage danach, wie man Bergsteiger wird, wird häufig so begründet, dass man in den Bergen aufgewachsen ist. Aber nicht jeder der beispielsweise hier in Mayrhofen aufgewachsen ist, wird Bergsteiger. Woran liegt es also?
Peter Habeler: So ist es. Gerade im Zillertal werden gar nicht so viele Leute Bergsteiger. Mir persönlich war es aber immer schon ein großes Vergnügen, die Berge hier zu betrachten. Mir war es aber ein noch größeres Vergnügen, da rauf zu steigen. Dafür muss man geboren sein, die Leidenschaft in sich tragen, denke ich. Ich hatte dann zusätzlich das Glück, gute Lehrer zu haben, die mich dafür begeistert haben. Meine Lehrer waren professionelle Bergführer, sodass ich automatisch in diese - meine - Berggeschichte hineingeschlittert bin.
netzathleten: Wie entwickelt sich so eine „Berggeschichte“ denn weiter? Die erklommenen Gipfel werden immer höher, die Reisen werden immer weiter? So einfach ist es nicht, oder?
Peter Habeler: Für mich war es natürlich wichtig, dass ich nicht hier bleibe. Ich verdanke dem Zillertal natürlich sehr viel, habe hier sehr viel trainiert – aber eigentlich wollte ich raus. Raus in die Welt, ich wollte mehr sehen. Mein großes Glück war natürlich, dass ich Menschen wie Doug Scott und Reinhold Messner traf, die zum Zeitpunkt unseres Zusammentreffens jeweils schon extrem unterwegs waren, und das zudem sehr erfolgreich. Man ist sich sympathisch, plant plötzlich Projekte zusammen und gerät quasi in einen Sog, der einen nach oben bringt. Man freut sich gemeinsam über Erfolge und jene Erfolge machten uns noch hungriger. Bergsteigen besteht ja auch daraus, nach einem bestiegenen Gipfel schon den nächsten Gipfel vor Augen zu haben. Es ist also eine logische Entwicklung des Lebens, dass man immer nach mehr strebt, immer nach oben und damit immer auch nach schwierigeren Zielen.
netzathleten: Auf dem Gipfel zu stehen muss ein unglaublich adrenalingeladener Moment sein, der in gewisser Weise süchtig macht, sagt man. Wie bewertest Du diese enormen Erfolgsmomente und die damit verbundenen Gefühle?
Peter Habeler: Süchtig macht es in der Tat. Aber ich würde das nicht als schlechte Sucht bewerten. Es stimmt, es gibt diesen Adrenalinausstoß, diese unbeschreiblichen Glücksgefühle. Das hat noch nicht einmal immer etwas mit der Schärfe einer Tour zu tun. Das kann auch auf kleineren Gipfeln passieren. Es muss also gar nicht immer um Leben oder Tod gehen. Aber der Gipfel ist sinngemäß ein Höhepunkt, den ich immer wieder und wieder erleben will. Und genau deshalb scheut man auch nicht die großen Gefahren, die auf dem Weg nach oben lauern.
netzathleten: Achttausendergipfel erreicht man ja nun nicht bei jedem Versuch, den man unternimmt. Wie hoch war Deine Erfolgsquote?
Peter Habeler: Die war gar nicht so besonders hoch. Ich war aber auch nie jemand, der Berge abgehakt hat. Weder im Zillertal noch im Himalaya war mir das wichtig. Mal klappt es, ein anderes Mal nicht. Von den 14 Achttausendern habe ich fünf bestiegen, war insgesamt achtmal über 8000 Metern. Es fehlen mir also noch ein paar der ganz hohen Gipfel. Aber das juckt mich gar nicht. Ich hatte tolle Erlebnisse und bin sehr froh, dass ich noch am Leben sein darf - darum geht es doch in Wahrheit.
netzathleten: Eure Erstbesteigung des Mount Everests 1978 ohne künstlichen Sauerstoff hielt keiner der Experten für möglich. Wieso seid Ihr es trotz aller Warnungen angegangen?
Peter Habeler: Wir haben wohl im Gegensatz zu diesen Experten von vielen Bergsteigern gehört, die schon lange vor uns ohne Sauerstoff bis knapp unter den Südgipfel (etwa 100 Meter unterhalb des eigentlichen Gipfels, Anm. d. Red.)des Everests gekommen waren. Da gab es eine Schweizer Gruppe, die das in den fünfziger Jahren geschafft hatte, Engländer in den zwanziger Jahren sogar auch schon. Wir wussten auch von Sherpas, die ohne Sauerstoff sehr weit oben waren. Zudem kannten Reinhold und ich unsere Schnelligkeit, wir waren ja flink unterwegs am Berg. Wenn wir nun auf das Gewicht der Sauerstoffgeräte verzichten würden, das etwa 12 Kilo ausmacht, wären wir noch schneller, dachten wir. Auch hatten wir Ärzte mit im Team, die uns zusätzlich bestärkten, dass es machbar sei. Sie motivierten uns sogar es zu versuchen, weil sie an uns und unsere Leistungsfähigkeit glaubten. Und eigentlich haben wir mit der Erstbesteigung ja nur den Bann gebrochen. Noch im gleichen Jahr bestieg ein Deutscher den Everest ebenfalls ohne künstlichen Sauerstoff.
netzathleten: War Dein Kollege Reinhold Messner, der alle 14 Achttausender bezwungen hat, ein größerer Wettkampftyp als Du? Riskierte er mehr, um seine Ziele zu erreichen?
Peter Habeler: Das sehe ich nicht so. Er hatte früh die Idee, alle Achttausender zu besteigen, und er hätte mich auch überallhin mitgenommen, da bin ich mir sicher. Auch ich habe davon geträumt, das steht auch außer Frage, allerdings hatte ich eine Familie. Meine Frau und mein kleiner Sohn haben zu Hause gewartet. Ich musste einfach zwischendurch mal nach Hause, um nach dem Rechten zu sehen, während sich Reinhold nach unserer Everestbesteigung schon auf den Weg zum Nanga Parpat machte. Eben mit dem erklärten Ziel, alle Achttausender zu besteigen. Reinhold hat die weiteren Expeditionen dann unter anderem mit Hans Kammerlander und Michl Dacher gemacht. Ich habe mich erst später wieder den 8000er-Projekten gewidmet. Wie gesagt, ohne Familie hätte ich das mit Reinhold durchgezogen, aber wer weiß, ob ich dann noch leben würde. So wie es jetzt gelaufen ist, bereue ich nichts und ich würde es jetzt wieder ganz genau so machen.
Peter Habeler im Gespräch mit netzathleten-Redakteur Derk Hoberg (Foto: Herbert Worm, Adventure-Magazin.de)
netzathleten: Wie geht es zu, wenn Du Reinhold heute triffst? Kommt der Stolz über das Erreichte zur Sprache?
Peter Habeler: Wenn wir uns treffen ist es eigentlich nicht so, dass wir uns als wilde Hunde feiern, die ihre Erlebnisse glorifizieren. Wir hatten große Gemeinsamkeiten, die aber in der Vergangenheit liegen. Nun sprechen wir zumeist über unsere aktuellen Projekte und unsere Zukunftspläne. Ich bin ja noch häufig auch auf schwierigem Terrain unterwegs, während Reinhold kaum noch Zeit hat in die Berge zu gehen. Ich bewundere natürlich auch seine Arbeit, die er mit seinen Museen betreibt. Oft gibt es aber auch nur ganz einfachen Männertratsch, wie er bei einem Bierchen schon mal vorkommt.
netzathleten: Du warst überall auf der Welt unterwegs, hast Du ein Lieblingsgebiet? Ist es gar das heimatliche Zillertal?
Peter Habeler: Das kann man so sagen und ich schätze, dass sich das bei den meisten Menschen so verhält. Das Lieblingsgebiet ist die Heimat. Mein Shangri-La ist das Zillertal. Ich bin hier geboren, hier aufgewachsen, kenne viele Menschen hier und sehe zu, dass ich einen Kreis junger Leute um mich herum habe. Das hält einen selbst auch jung. Ich habe auch keinen Lieblingsberg, falls die Frage danach kommt. Es gibt einige, die ich sehr mag, von denen kann ich jedoch keinen herausheben. Ich mag aber auch Nepal sehr. Ich war etwa 60 Mal dort und hoffe, dass dieses wunderbare Land so bleibt, wie es ist und nicht von einer der benachbarten Großmächte, China oder Indien, geschluckt wird.
netzathleten: Du giltst als „leidenschaftlicher Geher“, was hat es damit auf sich?
Peter Habeler: Es ist müßig zu erwähnen, dass Gehen gesund ist. Der ganze Körper ist in Bewegung. Aber: Gehen ist auch sehr meditativ. Man kann schnell gehen, man kann langsam gehen. Die Gedanken gehen dabei ihren Weg. Sitze ich in einer Maschine, einem Auto, dann ist meine Wahrnehmung doch eingeschränkt. Ich muss mich auf die Maschine konzentrieren. Beim Gehen kann ich mich auf mich selbst konzentrieren, kann die Gedanken in einem normalen Tempo abspulen. Deshalb gehe ich gerne.
netzathleten: In diesem Sinne, Peter: Wie weit kann man gehen? Im eigentlichen und im übertragenen Sinne…
Peter Habeler: Zu weit würde ich nicht gehen. Zum Beispiel um die Welt. Aber man kann ja Pausen einlegen und dann geht man weiter. Das gilt für Ziele, die man sich setzt. Und das gilt genauso für eine Strecke. Wobei ich als Kletterer zusätzlich noch die Wände hochgehe…
netzathleten: …weiter ganz nach oben! Danke Peter Habeler
Weitere Informationen zu Peter Habeler gibt es hier.
1969 Yerupaja Grande: Erstdurchsteigung der Ostwand, aufgrund von Gefahren nicht bis zum Gipfel.
Yerupaja Chico (Erstbesteigung)
1970 Peter Habeler und Doug Scott wiederholen im Mai als 12. Seilschaft die "Salathé" am El Capitan. In kürzester Begehungszeit gelingen ihnen die überaus schweren rund tausend Meter Granit.
1974 Eiger Nordwand (in zehn Stunden)
1975 Hidden Peak, erste Besteigung eines Achttausenders durch ein Zweimann-Team!
1978 Mount Everest: gemeinsam mit Reinhold Messner gelingt die erste Besteigung ohne künstlichen Sauerstoff.
1984 K2 (Versuch)
1985 Nanga Parbat (12. Juli)
1986 Cho Oyu (5. Mai), zusammen mit Marcel Rüedi
1988 Kantschenzönga
1990 Mount Everest. Bis 8300m, abgebrochen wegen Lungenentzündung.
1996 Ama Dablam, Pumori
2000 Mount Everest (Versuch)