Umgang mit Siegen – So behältst Du Deine Motivation
- Christian Riedel
Wenn man in seine Karriere alles erreicht hat, fehlt oft der Antrieb für einfache Aufgaben. Wer selber Sport treibt kann vielleicht nachvollziehen, wie schwierig es für unsere Fußball-Weltmeister wird, nach dem Gewinn des vierten Sterns im DFB-Pokal bei einem Fünftligisten anzutreten. Die fehlende Motivation dürfte bei Ex-Kapitän Philipp Lahm eine Rolle bei seinem Rücktritt aus der Nationalmannschaft gespielt haben. Entsprechend ist es wichtig, auch auf dem Höhepunkt der Karriere seine Motivation zu behalten, um auf weitere Aufgaben fokussiert bleiben zu können. Wie das geht, verrät Sportpsychologe Jürgen Walter.
netzathleten: Wie schwierig ist es, nach einem großen Sieg noch die Motivation zu behalten?
Jürgen Walter: Ich stelle mich mal ganz dumm und sage, der gute Sportler weiß von seinem Sieg nichts mehr. Der geht weiter auf das Feld und macht seinen Sport und weiß einfach, jetzt hole ich das bestmögliche raus und die nächste Aktion muss gut werden. Schließlich zählt der Erfolg aus der Vergangenheit in der Gegenwart nichts mehr. Ein Sportler ist ja keine Maschine, aber ein guter Sportler blendet aus, dass er auf der Woge des Erfolgs ist.
netzathleten: Wie funktioniert das? Wie kann man so etwas ausblenden?
Jürgen Walter: Man muss sich in gewisser Hinsicht selber beschummeln. Immer wenn ich merke, dass meine Gedanken abschweifen oder sich auf etwas anderes fokussieren, muss ich sie sozusagen stoppen nach dem Motto „liebe Gedanken, ihr stört, geht zur Seite“. Dann kann ich mich wieder mit meiner eigentlichen Aufgabe beschäftigen. Das gilt im übrigen auch, wenn ein Sportler seine Trainingsleistung nicht im Wettkampf abrufen kann. Wenn man sich hier beschummelt und sagt, dass das nur ein Training ist, tut man sich oft leichter, die gute Leistung aus dem Training abzurufen. Die Gefahr ist natürlich immer groß, dass man im Hinterkopf hat, ich bin erster geworden, ich bin Weltmeister, es geht auf dieser Woge weiter und mich kann auf Jahre keiner mehr schlagen. Die Gefahr besteht dann immer, dass man einen Gang zurück schaltet.
netzathleten: Das beste Beispiel ist ja unsere Fußball-Nationalmannschaft. Für die Spieler gibt es ja kaum noch Ziele mehr, gerade wenn sie vom FC Bayern kommen und 2013 sogar das Triple gewonnen haben. Was würden Sie diesen Spielern raten?
Jürgen Walter: Die Spieler können per se ja schon sehr gut Fußball spielen. Deswegen ist die Gefahr immer da, dass sie sich so in ihrer mentalen Stärke steigern und darunter das Fußballspielen vergessen. Das beste Beispiel ist das 4:4 gegen Schweden in der WM-Qualifikation. Hier konnten sie den Schalter nicht mehr umlegen. Das ist die Gefahr, wenn man fast schon zu gut ist. Aber wenn die Spieler sich klar machen, dass man auch das zwischen den Ohren trainieren muss, besteht eine gute Chance, dass sie mental stärker werden.
netzathleten: Man kann sich aber doch vorstellen, dass ein Spieler wie Philipp Lahm, der auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn steht, Probleme hat, sich für die nächsten Aufgaben zu motivieren, wenn es im DFB-Pokal gegen einen Fünftligisten oder in der EM-Qualifikation gegen Gibraltar geht. Wie schafft man es, dann den Schalter wieder umzulegen und kann man sich hier auch selber beschummeln, gerade wenn man immer wieder daran erinnert wird?
Jürgen Walter: Mentale Stärke heißt ja auch, dass man das, was man im Training schafft, auch auf dem Platz umsetzen kann, wenn es drauf ankommt. Da kommen wir wieder an den Punkt, sich selber zu beschummeln. Wenn ich Tischtennis spiele und führe, sage ich in Gedanken zu mir immer, noch hast Du nicht verloren. Wenn ich hoch zurück liege, sage ich in Gedanken, noch hast Du nicht gewonnen. Und ich versuche mich zu konzentrieren, dass die nächste Aktion gut wird. Das klingt vielleicht widersinnig, hilft mir aber, die Konzentration hoch zu halten. So muss jeder seinen eigenen Weg finden, sich zu „beschummeln“. Wenn ich nun als Bundesligist gegen einen Fünftligisten spiele, muss ich mir im Kopf klar machen, dass ich gegen eine gleich gute Mannschaft spiele. Und wenn ich hier nicht optimal meine Leistung bringe, wird das nichts. Raus aus der Komfortzone eben. Es muss weh tun und da besteht auch die Gefahr für unsere Nationalspieler, dass sie sich denken, wir machen das spielerisch und brauchen nicht mehr kämpfen und beißen. Man braucht hier eine gewisse Straßenkötermentalität.
netzathleten: Und wie schafft man es eben, sich für die kommenden Aufgaben zu motivieren?
Jürgen Walter: Indem ich weiß, dass das mein Job ist in dem ich gut bin und ich versuche, den Job so gut ich kann zu erledigen. Und indem ich mir immer sage, dass die nächste Aktion gut werden muss. Wenn ich beispielsweise eine Mannschaft coache, frage ich vor dem Spiel die Spieler: was ist Euer Ziel? Die Antwort ist dann gewinnen. Und was muss man tun, um zu gewinnen? Tore schießen. Und damit das klappt, muss ich mich eben immer auf die nächste Aktion konzentrieren, dass die gut wird. Das gilt schon für den nächsten Einwurf oder den nächsten Freistoß. Wenn ich nur an die nächste Aktion denke, denke ich gar nicht mehr daran, was in der Vergangenheit war oder wie es eigentlich steht. Das beste Beispiel hier sind die Dortmunder in ihrer Meistersaison. Die hatten so viel Spaß am Spiel, dass sie etwas überspitzt formuliert gar nicht wussten, wie es steht. Weil es ihnen auch egal war. Wenn man an diesen Punkt kommt, braucht man gar keine Extra-Motivation mehr.
netzathleten: Braucht man vielleicht ein Negativerlebnis, um wieder auf den Boden der Tatsachen zurück zu kommen?
Jürgen Walter: Tiger Woods hat mal einen Spruch gebracht, dass es ihn nicht interessiert, ob er gewonnen oder verloren hat, sondern nur, ob er insgesamt besser geworden ist. Sportlern tut es mit Sicherheit auch einmal gut, eine Niederlage einzustecken. Aus einer Niederlage kann man aufstehen, wenn man oben steht, kann man nur noch fallen. Das ist ja auch die Gefahr. Aber man kann es ja leider nicht beweisen, wie wichtig eine Niederlage ist, da man ja nur Vermutungen anstellen kann. Aus sportpsychologischer Sicht braucht man eine Niederlage nicht unbedingt, wenn die Sportler mental stark sind. Aber das kann auch individuell verschieden sein. Es kann schon sein, dass eine Mannschaft erst dadurch gut wird, weil sie einmal eine Niederlage erleiden musste, weil sie eben merken, dass man sich für einen Sieg quälen muss.
netzathleten: Kann man denn als Trainer oder Betreuer etwas machen, um die Spieler wieder auf den Boden der Tatsachen zurück zu holen?
Jürgen Walter: Man muss die Leute eben darauf trimmen, dass die WM vorbei ist und neue Aufgaben bevorstehen. Den Erfolg nimmt einem zwar keiner mehr weg, aber am ersten Spieltag bzw. die erste Pokalrunde interessiert das den Gegner nicht mehr, was man in der Vergangenheit gewonnen hat. Man muss sich eben auf den neuen Gegner konzentrieren. Das muss man in die Köpfe der Spieler hinein bekommen. Schließlich ist das der Job der Spieler. Man kann sie nur noch fragen, was sie getan haben, um erfolgreich zu sein. Und daran müssen sich die Spieler in Hinblick auf bevorstehende Aufgaben erinnern, sich also fragen: warum haben wir eigentlich gewonnen. Das ist die Aufgabe des Trainers.
netzathleten: Haben Sie denn Verständnis, dass ein Spieler wie Philipp Lahm, der wahrscheinlich noch ein paar Jahre auf höchstem Niveau spielen kann, nach so einem Triumph aus der Nationalmannschaft zurück tritt?
Jürgen Walter: Verständnis habe ich für alles. Das heißt aber nicht, dass ich es gut oder richtig finde. Das muss jeder Sportler für sich wissen und ich weiß nicht genau, was ihn zu diesem Schritt bewogen hat. Kein Grund ist dagegen zu sagen, dass man nach so einem Triumph keine Motivation mehr hat. Dann sage ich, dass man das besprechen muss. Mit professioneller Hilfe kann ein Sportler auch nach dem größten Triumph wieder neue Ziele und neue Motivation finden.
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