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Was ist eigentlich Talent? Annäherungsversuch an eine Erklärung
- Julia Nikoleit
Mario Götze, Dirk Nowitzki und Sven Hannawald: Die inzwischen hochdekorierten Sportler galten einst als große Talente. Für viele Sportvereine steht die Suche nach Kindern und Jugendlichen mit einer besonderen sportlichen Begabung entsprechend im Fokus. Doch was ist Talent eigentlich? Ein hochkomplexes Thema – so viel steht fest.
Fußballer Mario Götze, Basketballer Dirk Nowitzki und Skispringer Sven Hannawald – sie alle haben eines gemeinsam: Ihr Talent für die jeweilige Sportart, so wird erzählt, sei bereits im Kindesalter zu erkennen gewesen – und erkannt worden. Für viele Sportvereine steht die Suche nach dem großen Talent entsprechend im Fokus. Über Sichtungen und Fördermaßnahmen sollen Kinder und Jugendliche so früh wie möglich entdeckt und zu Leistungssportlern aufgebaut werden. Doch was ist Talent eigentlich?
Diese Frage beschäftigt Sportwissenschaftler und Trainer seit Jahrzehnten, verspricht die Antwort doch neben dem Erkennen der Stars von morgen auch ihre zielgerichtete Förderung. Eine allgemein gültige Antwort hat man bisher jedoch nicht gefunden, zu verzweigt ist das Feld. Genetische und körperliche Voraussetzungen, Training, Erziehung, Fleiß sowie nicht zuletzt die mentale Stärke spielen in die Entwicklung hinein und beeinflussen, welcher junger Sportler den Schritt in den Leistungssport schafft und welcher nicht.
Einig ist man sich sportartübergreifend vor allem in einem Punkt: Talent alleine – die reine Begabung für eine Sportart, körperlich wie instinktiv – reicht nicht, um es an die Spitze zu schaffen. Schon der Psychologe William Stern erklärte 1916: „Begabungen sind immer Möglichkeiten zur Leistung, sie bedeuten jedoch nicht Leistung selbst.“ Das hat sich bis heute gehalten: Nur mit seinem Talent wäre Dirk Nowitzki nicht zum wertvollsten Spieler in der amerikanischen NBA geworden – der deutsche Basketball-Star steckte tausende Trainingsstunden in seine Karriere. Rund 10.000 Stunden Training, so eine in der Sportwissenschaft weitgehend akzeptierte Formel, brauche ein Mensch, um eine außergewöhnliche Fähigkeit zu entwickeln.
Entwicklung – das ist das Zauberwort im Umgang mit Talent. „Talent setzt sich zusammen aus den körperlichen Voraussetzungen, der Begabung für eine Sportart und der mentalen Stärke sowie dem Willen, den jemand mitbringt“, erklärt Mentaltrainerin Maike Koberg, die mit Nachwuchstalenten aus verschiedenen Sportarten arbeitet. „Talent hat unendlich viele Facetten.“ Zu messen sind davon jedoch nur die biologischen Kriterien wie Körpergröße, Körperbau und Muskelstruktur – der oft beschworene Instinkt, das angeborene Verständnis, eine Sportart zu ‚lesen’, sind wissenschaftlich kaum nachzuweisen.
Einer, der einst selbst als Talent galt und heute mit Talenten arbeitet, ist Jan Holpert. Der ehemalige Handball-Torwart ist Rekordspieler in der Bundesliga und arbeitet heute für die Flensburg Akademie, die sich um die Nachwuchsförderung von Champions-League-Sieger SG Flensburg-Handewitt kümmert. „Natürlich braucht es ein gewisses Talent, aber es gehört genauso viel Fleiß dazu“, weiß auch Holpert. Für ihn ist der Schritt in den Leistungssport ein „Nadelöhr“ – an dem auch so manches Talent scheiterte, weil die absolute Bereitschaft fehlte, aus seiner Begabung etwas zu machen.
Dass Talent natürlich sehr hilfreich dabei ist, sportlich erfolgreich zu sein, wird in der deutschen Sportlandschaft wenig hinterfragt. Dabei gibt es durchaus Querdenker. „Es klingt etwas befremdlich, für Romantiker vielleicht sogar abschreckend, aber letztlich kann man tatsächlich sagen: Sportliche Elite lässt sich kreieren“, behauptet Sportwissenschaftler und Neuro-Athletikcoach Lars Lienhard. Er rückt die neuronalen Vorgänge im Körper in den Mittelpunkt seiner Arbeit. Die Steuerung aller Bewegungen, aller Fähigkeiten und Fertigkeiten, findet nun mal im Gehirn und dem Nervensystem statt, stellt er fest. Mit seinem Konzept macht er viele Leistungssportler weniger anfällig für Verletzungen – und führt sie an ihr Leistungslimit. Talente und Topsportler hat er schon viele betreut und ist beim Versuch, diese noch besser zu machen, zu folgendem Schluss gekommen: „Talent allein wird überbewertet.“ Vor allem auf das richtige, individuelle Training komme es an. Und die Fokussierung. Dem stimmt sein Partner Martin Weddemann, der Gründer und Geschäftsführer von ‚Focus on Performance’, zu: „Wenn man sich Biografien von herausragenden Sportlern anschaut, dann sieht man, dass der überragende sportliche Erfolg oftmals die Folge von täglicher, intensiver Beschäftigung mit einer großen Leidenschaft ist“, erklärt der Sportwissenschaftler und fügt an: „Folgendes Zitat von Lionel Messi beschreibt den Talentbegriff eigentlich perfekt: ‚I worked 14 years to become an overnight superstar!’“ (lest hier mehr im Extra-Interview zum Thema "Was ist Talent?").
Auch für Michael Döring wird die Fixierung auf das Talent überbewertet. Der Diplomsportlehrer mit Erfahrung im Volleyball, Handball und der Leichtathletik arbeitete an mehreren Sportschulen. Heute arbeitet er an der Flensburg Akademie. „Talent ist nur zu einem Teil Begabung; Arbeit und Fleiß sind ebenso wichtig“, so Döring. Er ist überzeugt: „Wir als Trainer nehmen uns zu viel heraus und kennzeichnen Jugendliche zu früh als talentiert oder talentfrei. So verlieren wir in Deutschland eine Menge an Potenzial.“ Die eine, allein gültige Definition des Begriffs ‚Talent’ gibt es dementsprechend für keinen der Experten. „Jede Sportart muss für sich definieren, was wichtig für sie ist“, sagt Döring. Während eine Körpergröße von über zwei Metern im Skispringen hinderlich wäre, ist sie im Basketball eine ideale Voraussetzung. Eine Fixierung auf die körperlichen Voraussetzungen allein, wie sie gerade in der DDR betrieben wurde, wäre allerdings zu einseitig.
Wie nun entdeckt und fördert man Talent? Wie kann man generell vorhandenes Potential rechtzeitig ausmachen und im Anschluss optimal entwickeln? Für Martin Weddemann eine essentielle wie spannende Frage: „Ein Talent mit den entsprechenden genetischen Anlagen muss frühzeitig entdeckt und im richtigen Umfeld gefördert werden. Ich würde das Einstiegsalter, die Anzahl an hochkonzentrierten Übungsstunden im Spiel- und Spaßmodus und das soziale Umfeld als ein erstes wichtiges Selektionskriterium bezeichnen. Zudem geht es in der Leistungsentwicklung immer nach dem Prinzip der spezifischen Anpassung. In einer Disziplin wie dem 100m Sprint werden wesentlich spezifischere Anforderungen an ein Talent gestellt als im viel komplexeren Fußball. Die genetische Selektion zum Topsprinter ist also viel härter als zum Fußballer, da das physische Anforderungsprofil keine große Varianz wie beim Fußball zulässt.“
Was also ist Talent? Martin Weddemann fasst zusammen: „Talent ist ein hochkomplexer, dynamischer Begriff. Die eine Definition von Talent gibt es nicht, der Talentbegriff ist ebenso wie sportlicher Erfolg multifaktoriell zu betrachten.“ Feststeht: Zur Talenterkennung und -Förderung gehören ein gutes Umfeld sowie jede Menge Fleiß und persönliche Investitionen. Götze, Nowitzki und Hannawald haben sich auch nicht auf ihre Veranlagung zurückgezogen, sondern alles dafür getan, an die Spitze zu gelangen. Ein ‚ewiges Talent’ schließlich, will niemand bleiben.
Diese Frage beschäftigt Sportwissenschaftler und Trainer seit Jahrzehnten, verspricht die Antwort doch neben dem Erkennen der Stars von morgen auch ihre zielgerichtete Förderung. Eine allgemein gültige Antwort hat man bisher jedoch nicht gefunden, zu verzweigt ist das Feld. Genetische und körperliche Voraussetzungen, Training, Erziehung, Fleiß sowie nicht zuletzt die mentale Stärke spielen in die Entwicklung hinein und beeinflussen, welcher junger Sportler den Schritt in den Leistungssport schafft und welcher nicht.
Einig ist man sich sportartübergreifend vor allem in einem Punkt: Talent alleine – die reine Begabung für eine Sportart, körperlich wie instinktiv – reicht nicht, um es an die Spitze zu schaffen. Schon der Psychologe William Stern erklärte 1916: „Begabungen sind immer Möglichkeiten zur Leistung, sie bedeuten jedoch nicht Leistung selbst.“ Das hat sich bis heute gehalten: Nur mit seinem Talent wäre Dirk Nowitzki nicht zum wertvollsten Spieler in der amerikanischen NBA geworden – der deutsche Basketball-Star steckte tausende Trainingsstunden in seine Karriere. Rund 10.000 Stunden Training, so eine in der Sportwissenschaft weitgehend akzeptierte Formel, brauche ein Mensch, um eine außergewöhnliche Fähigkeit zu entwickeln.
Entwicklung – das ist das Zauberwort im Umgang mit Talent. „Talent setzt sich zusammen aus den körperlichen Voraussetzungen, der Begabung für eine Sportart und der mentalen Stärke sowie dem Willen, den jemand mitbringt“, erklärt Mentaltrainerin Maike Koberg, die mit Nachwuchstalenten aus verschiedenen Sportarten arbeitet. „Talent hat unendlich viele Facetten.“ Zu messen sind davon jedoch nur die biologischen Kriterien wie Körpergröße, Körperbau und Muskelstruktur – der oft beschworene Instinkt, das angeborene Verständnis, eine Sportart zu ‚lesen’, sind wissenschaftlich kaum nachzuweisen.
Einer, der einst selbst als Talent galt und heute mit Talenten arbeitet, ist Jan Holpert. Der ehemalige Handball-Torwart ist Rekordspieler in der Bundesliga und arbeitet heute für die Flensburg Akademie, die sich um die Nachwuchsförderung von Champions-League-Sieger SG Flensburg-Handewitt kümmert. „Natürlich braucht es ein gewisses Talent, aber es gehört genauso viel Fleiß dazu“, weiß auch Holpert. Für ihn ist der Schritt in den Leistungssport ein „Nadelöhr“ – an dem auch so manches Talent scheiterte, weil die absolute Bereitschaft fehlte, aus seiner Begabung etwas zu machen.
Dass Talent natürlich sehr hilfreich dabei ist, sportlich erfolgreich zu sein, wird in der deutschen Sportlandschaft wenig hinterfragt. Dabei gibt es durchaus Querdenker. „Es klingt etwas befremdlich, für Romantiker vielleicht sogar abschreckend, aber letztlich kann man tatsächlich sagen: Sportliche Elite lässt sich kreieren“, behauptet Sportwissenschaftler und Neuro-Athletikcoach Lars Lienhard. Er rückt die neuronalen Vorgänge im Körper in den Mittelpunkt seiner Arbeit. Die Steuerung aller Bewegungen, aller Fähigkeiten und Fertigkeiten, findet nun mal im Gehirn und dem Nervensystem statt, stellt er fest. Mit seinem Konzept macht er viele Leistungssportler weniger anfällig für Verletzungen – und führt sie an ihr Leistungslimit. Talente und Topsportler hat er schon viele betreut und ist beim Versuch, diese noch besser zu machen, zu folgendem Schluss gekommen: „Talent allein wird überbewertet.“ Vor allem auf das richtige, individuelle Training komme es an. Und die Fokussierung. Dem stimmt sein Partner Martin Weddemann, der Gründer und Geschäftsführer von ‚Focus on Performance’, zu: „Wenn man sich Biografien von herausragenden Sportlern anschaut, dann sieht man, dass der überragende sportliche Erfolg oftmals die Folge von täglicher, intensiver Beschäftigung mit einer großen Leidenschaft ist“, erklärt der Sportwissenschaftler und fügt an: „Folgendes Zitat von Lionel Messi beschreibt den Talentbegriff eigentlich perfekt: ‚I worked 14 years to become an overnight superstar!’“ (lest hier mehr im Extra-Interview zum Thema "Was ist Talent?").
Auch für Michael Döring wird die Fixierung auf das Talent überbewertet. Der Diplomsportlehrer mit Erfahrung im Volleyball, Handball und der Leichtathletik arbeitete an mehreren Sportschulen. Heute arbeitet er an der Flensburg Akademie. „Talent ist nur zu einem Teil Begabung; Arbeit und Fleiß sind ebenso wichtig“, so Döring. Er ist überzeugt: „Wir als Trainer nehmen uns zu viel heraus und kennzeichnen Jugendliche zu früh als talentiert oder talentfrei. So verlieren wir in Deutschland eine Menge an Potenzial.“ Die eine, allein gültige Definition des Begriffs ‚Talent’ gibt es dementsprechend für keinen der Experten. „Jede Sportart muss für sich definieren, was wichtig für sie ist“, sagt Döring. Während eine Körpergröße von über zwei Metern im Skispringen hinderlich wäre, ist sie im Basketball eine ideale Voraussetzung. Eine Fixierung auf die körperlichen Voraussetzungen allein, wie sie gerade in der DDR betrieben wurde, wäre allerdings zu einseitig.
Wie nun entdeckt und fördert man Talent? Wie kann man generell vorhandenes Potential rechtzeitig ausmachen und im Anschluss optimal entwickeln? Für Martin Weddemann eine essentielle wie spannende Frage: „Ein Talent mit den entsprechenden genetischen Anlagen muss frühzeitig entdeckt und im richtigen Umfeld gefördert werden. Ich würde das Einstiegsalter, die Anzahl an hochkonzentrierten Übungsstunden im Spiel- und Spaßmodus und das soziale Umfeld als ein erstes wichtiges Selektionskriterium bezeichnen. Zudem geht es in der Leistungsentwicklung immer nach dem Prinzip der spezifischen Anpassung. In einer Disziplin wie dem 100m Sprint werden wesentlich spezifischere Anforderungen an ein Talent gestellt als im viel komplexeren Fußball. Die genetische Selektion zum Topsprinter ist also viel härter als zum Fußballer, da das physische Anforderungsprofil keine große Varianz wie beim Fußball zulässt.“
Was also ist Talent? Martin Weddemann fasst zusammen: „Talent ist ein hochkomplexer, dynamischer Begriff. Die eine Definition von Talent gibt es nicht, der Talentbegriff ist ebenso wie sportlicher Erfolg multifaktoriell zu betrachten.“ Feststeht: Zur Talenterkennung und -Förderung gehören ein gutes Umfeld sowie jede Menge Fleiß und persönliche Investitionen. Götze, Nowitzki und Hannawald haben sich auch nicht auf ihre Veranlagung zurückgezogen, sondern alles dafür getan, an die Spitze zu gelangen. Ein ‚ewiges Talent’ schließlich, will niemand bleiben.