Kai Wandschneider: Ein ‚Pirat’ in Hamburg gettyimages.de -- Kai Wandschneider
Handball-Final4

Kai Wandschneider: Ein ‚Pirat’ in Hamburg

  • Frank Schneller
Der Coach des Pokalhalbfinalisten HSG Wetzlar hat Hamburger Wurzeln. Mit dem Underdog will er sich nun in seiner Geburtsstadt einmal mehr Gegnern erwehren, die ein viel größeres Budget zur Verfügung haben.
Treffpunkt Waterkant: Zum Kaffee kommt Kai Wandschneider an diesem frischen April-Tag in kurzen Hosen. Er wählt einen Tisch draußen vor dem Lokal, andere Gäste lassen sich warme Decken bringen. Oder nehmen drinnen Platz. Der Trainer des Final Four-Teilnehmers HSG Wetzlar – viele Fachleute halten ihn für den aktuell fähigsten und komplexesten Coach der Handball-Bundesliga – ist nicht zimperlich: Ehemaliger Fallschirmjäger bei der Bundeswehr. So einer friert nicht.

In Hamburg ist er häufiger, aber nach seinem Geschmack nicht oft genug. In seiner äußerst knapp bemessenen Freizeit besucht er die Hansestadt gern, um abzuschalten, sich inspirieren zu lassen und Freunde zu besuchen. Uwe Seeler ist sein Idol. Bis heute. Was die meisten Handball-Fans nicht wissen: Hamburg ist die Heimat des zweimaligen Trainers der Saison (2013, 2017).

Geboren in Bergedorf, später wohnhaft in Hamburg-Uhlenhorst, musste er als kleiner ‚Butjer’ mit der Familie wegziehen: „Ich wurde ins Rheinland verschleppt – gegen meinen Willen“, erinnert sich der 58-Jährige, dessen Vater auch ein waschechter Hamburger war, wie eigentlich alle seine Vorfahren: „Viele von ihnen waren Seefahrer. Kapitäne, Smutjes. Daher wahrscheinlich meine Entscheidung, ein Piratenleben zu führen“, sagt Wandschneider, der beim Saison-Highlight seines Arbeitgebers wie so oft Außenseiter ist. Und lacht.

Im Oberbergischen landete Wandschneider beim Handball. Nach seiner aktiven Zeit kämpfte sich der Diplom-Sportlehrer, Gitarren- und Naturliebhaber als Trainer bis nach oben. Ohne den Bonus eines Ex-Bundesligaprofis. Brauchte der akribische Taktiker auch nicht. Mit Bayer Dormagen stieg er von der Regional- bis in die Bundesliga auf und – viel sensationeller noch – über Jahre nicht wieder ab. Bis am Niederrhein finanziell die Lichter ausgingen.

Seit 2012 trainiert er den Etatzwerg Wetzlar und bringt diesen trotz permanenten Verlusts seiner wichtigsten Spieler Jahr für Jahr in sichere Gefilde. Seine fortlaufend neu zusammengestellten, aber stets beeindruckend zusammengeschweißten Teams haben die Abstiegsangst aus Mittelhessen verbannt. „Irgendwann wird die Realität logischerweise aber mal wieder vorbeischauen“, mahnt er.

Wandschneider, über den der ehemalige Weltklasse-Spielmacher und vermeintliche Trainerschreck Ivano Balic nach seinem zweijährigen Gastspiel in Wetzlar sagte, er habe „noch nie mit einem so schlauen Menschen zusammengearbeitet“, ist auf diese Realität vorbereitet. Der Mann ist unaufgeregt, ruht in sich. Er zitiert Wissenschaftler, Forscher, Häuptlinge, Generäle, Basketball-Legenden, Literaten und Philosophen. Aber nicht, um zu kokettieren: „Ich beziehe mich auf historischen Persönlichkeiten, weil ich an vieles glaube und danach lebe, was sie gesagt haben, es aber nicht besser formulieren kann als sie.“ Man könnte und kann ihm stundenlang zuhören.

Wandschneiders Welt besteht längst nicht nur aus Spielzügen und Abwehrformationen. Er hat ein Vordiplom in Psychologie, glaubt an die Kraft der Kommunikation und doziert über Führungsqualitäten. Wandschneider hat das Zeug zum Systemkritiker und Querdenker. Wohl auch darum stehen seine Chancen, einmal Bundestrainer zu werden, eher schlecht. Dabei ist er mit seinem Trainerstab in Wetzlar so etwas wie die Kaderschmiede des DHB. Kein anderer Erstligist war beim deutschen EM-Triumph 2016 in Polen länger auf dem Spielfeld vertreten als die HSG Wetzlar. Tobias Reichmann, Steffen Fäth, Philip Weber, Kevin Schmidt, Jannik Kohlbacher und Andreas Wolff formte er zu Nationalspielern. Um sie nach und nach wieder ziehen lassen zu müssen. Immerhin gewinnbringend, wirtschaftlich betrachtet, weshalb man den Coach auch schon mal den ‚Hauptsponsor’ seines Arbeitgebers nennt.

Am Wochenende ist Kai Wandschneider wieder in Hamburg. Er liest dann aber nicht an der Alster in einem guten Buch oder greift am Elbufer zur Gitarre. Er wird in der Barclaycard Arena versuchen, das nächste Handballwunder zu schaffen. Wie bei den zwei Ligasiegen gegen Kiel. Im Halbfinale in Hamburg wartet Hannover-Burgdorf. Getreu seiner Maxime: „Man hat immer eine Chance.“

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