Organisator. Netzwerker. Übersetzer. Krankentransporter. Fluchthelfer. pixabay.com
Die Ukraine-Hilfe von Ex-Handballer Sascha Gladun

Organisator. Netzwerker. Übersetzer. Krankentransporter. Fluchthelfer.

Mit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine setzte deutschlandweit eine Welle der Solidarität und – viel wichtiger noch – Hilfsbereitschaft ein. Auch der Sport beweist, dass er nicht nur symbolische Kraft hat. Zu den unermüdlichsten Initiatoren von Hilfsaktionen zählt der in Bayern lebende ukrainische Ex-Handballer Sascha Gladun (49). Einer seiner ehemaligen Trainer in Erlangen, Volker Schneller – nach Eintritt ins Rentenalter als Lokalreporter weiter aktiv – schrieb die Geschichte über ihn auf.
Meine ersten beiden Anrufe landen auf dem Band. Als Sascha sich kurz darauf zurückmeldet, ist er gerade nach Hause gekommen. „Diese Bilder“, erzählt er schon bald, „prägen sich ein. Die werden bleiben“. Auch nach fast zwei Monaten Krieg in seiner Heimat, der Ukraine, klingt er zwar sortiert und ruhig, aber noch immer geschockt.

Gerade erst ist er von einer weiteren Fahrt zur polnisch-ukrainischen Grenze zurückgekehrt. Was er dort zum wiederholten Male erlebte, sei kaum zu ertragen. Man hört es in seiner Stimme. Dennoch macht er sich immer wieder auf den Weg. Liefert mit einem Kleinbus dringend benötigtes Material, lebenswichtige Güter und Verpflegung – und holt Menschen aus höchster Not. Auf einer der jüngsten Touren zwei schwerverletzte Landsleute, darunter ein kleines Kind. Viele Kriegsopfer, auch Verwandte, hat er persönlich nach München und Umgebung gebracht. In Krankenhäuser. Zu Gastfamilien. In Sicherheit. Seine Mutter ist bei ihm, seine Schwester. Weil im eigenen Zuhause nicht mehr Platz war, blieb sein Vater vorerst in der Ukraine – allerdings nur 20 km von der ungarischen Grenze entfernt. Noch sei er dort sicher, betont Sascha.

Seit vielen Wochen nun schon befindet sich Sascha Gladun im Ausnahmezustand, im Krisen- und Hilfsmodus. Er ist ja auch noch Generalsekretär des ukrainischen Handballverbandes. Nach dem Ende seiner aktiven Karriere blieb er in Deutschland, fand in Oberammergau ein neues Zuhause und arbeitet – eigentlich – als Sportlehrer an einer Schule in Herrsching. Doch seit Ausbruch des schrecklichen, von Russland angezettelten Krieges in der Ukraine, hilft er „wo immer möglich“. Als Funktionär. Als Organisator. Netzwerker. Übersetzer. Krankentransporter. Fluchthelfer.


Wer Sascha Gladun in Form einer Spende bei seiner Ukraine-Hilfe unterstützen will, kann dies hier tun:

M-K-T Alltagshelfer e.V.
Volksbank Hamm
DE 43 4416 0014 6606 6272 00
Spende Ukraine


Weil darüber etliche Medien berichteten, steht der einstige Rückraumspieler im Gegensatz zu vielen anderen Ehrenamtlichen mittlerweile in der Öffentlichkeit. Auslöser war kurz nach Kriegsbeginn ein Artikel des Sport-Informations-Dienstes (SID) über ihn In der Folge wurde auch die ‚Rettung‘ der ukrainischen Nationalmannschaft publik, die samt Familien kurzerhand vom TV Großwallstadt aufgenommen worden war. Beim TVG war einst der heutige Nationalcoach Vyacheslav ‚Slava‘ Lochman als Profi am Ball. Ebenfalls Gegenstand der Berichterstattung: Das vom Bayrischen Handballverband und Gladun initiierte Benefizspiel in Fürstenfeldbruck und der Auftritt der ukrainischen Mannschaft bei der HSG Wetzlar. Hilfsaktionen, Spendenaufrufe, Interviews – all das lief und läuft über Sascha. Sein Telefon klingelt rund um die Uhr. Das seiner Frau auch, sagt er. Alle haben Fragen.

Nebenher kümmert er sich als Generalsekretär seines Verbandes um die administrativen Aufgaben der ukrainischen Auswahlteams. Als Lehrer ist er temporär in Teilzeit übergegangen. Nur so ist das alles überhaupt zu bewältigen.

Sascha Gladun
Hilfe aus Hamm: Sascha und Kai Kipka (Quelle: privat)

Eines wird im Gespräch mit ihm ganz schnell klar: Weder braucht noch genießt Sascha die Medienpräsenz. Vielmehr hat er erkannt, dass er sie aktuell hilfebringend einsetzen kann. Also schildern abwechselnd er oder Nationalcoach Lochman den Medien, warum und unter welch teils dramatischen Umständen die ukrainischen Nationalspieler per Ausnahmeregelung nach Großwallstadt gekommen waren – und dort zunächst ein Trainingslager bezogen hatten. Und dass sie nun darauf warten würden, eine Wildcard für die WM 2023 beantragen zu können – „wenn die Zeit dafür reif ist“, betont er. Denn: Die Qualifikationsspiele für das Turnier in Schweden und Polen gegen Finnland musste die Ukraine kriegsbedingt absagen.

Die Spieler haben, betonen Gladun und Lochman, die Erlaubnis des ukrainischen Ministeriums, ja sogar den Auftrag, sportlich für ihr Land einzustehen – als Botschafter. Trainer Lochman beschreibt es so: „Sie kämpfen mit dem Ball in der Hand, nicht mit der Waffe.“ Viele von ihnen waren direkt und fluchtartig aus Russland gekommen, wo sie als Profis spielten. Keiner von ihnen wird dorthin zurückkehren. Einige konnten inzwischen Verträge mit Vereinen in Polen, Spanien und Rumänien abschließen. Einige auch in Deutschland, zum Beispiel in Großwallstadt. Sascha half auch dabei.

An die Front müssen die Handballer trotz der in ihrer Heimat vorherrschenden Wehrpflicht-Statuten für Männer ab 18 bis 60 Jahren absehbar wohl nicht. Aus dem zweiwöchigen Sonderstatus ist eine zunächst unbefristete Regelung geworden, erfahre ich.

Die übrigen, noch nicht von einem neuen Verein verpflichteten Kaderspieler – etliche kommen vom Champions League-Teilnehmer Saporoshje – sind nach ihrer Zeit in Großwallstadt nun in Rostock aufgenommen worden. Auch dort ist bekanntlich ein Zweiligist beheimatet: Der HC Empor. Und der holte gleich auch noch die Junioren-Auswahl der Ukraine zu sich. Unterdessen hatte das Frauen-Nationalteam im tschechischen Hodonin bei Brünn eine temporäre Heimat gefunden, um sich dort auf die EM-Qualifikationsspiele gegen Kroatien in Linz und Frankreich in Le Havre vorzubereiten.

Die Handballgemeinschaft ist ein ganzes Stück zusammengerückt in diesen unwirklich anmutenden Tagen. Das ist auch deshalb so wichtig, weil die ukrainischen Spielerinnen und Spieler trotz der gegenwärtigen Sicherheit oftmals seelischen und moralischen Beistand brauchen angesichts ihrer traumatischen Situation. Gespräche, Empathie, Fürsorge. In Großwallstadt beispielsweise erfuhren die ukrainischen Gäste eine berührende Gastfreundschaft, bis weit in den privaten Bereich hinein.

Aber – und diese Frage dürfte sich absehbar grundsätzlich stellen – hält all die Hilfsbereitschaft im Land an? Wie lange ist sie überhaupt durchzuhalten? Eine pauschale Antwort darauf, wie es weitergeht, hat Sascha nicht. Er kann Hoffnungen formulieren. Auf ein Ende des Grauens, natürlich. „Vielleicht birgt diese fürchterliche Katastrophe eine Chance in sich – nämlich die der Rückbesinnung von uns allen auf das, was wirklich wichtig ist im Leben: Frieden. Sicherheit, Humanität. Respekt, Nahrung, Bildung. Wenn wir das alle begreifen, wäre das eine wichtige gesellschaftliche Entwicklung“, sagt er außerdem. Eine Vision. Es geht aber zunächst und aktuell schlicht darum, Menschenleben zu retten. Und so fokussiert er sich dann schnell wieder auf das „Hier-und-Jetzt“. Er sei fest entschlossen, zu helfen so lange er kann.

Aktuell seien natürlich auch Sanktionen wichtig, diese aber eher mittel- und langfristig wirksam. Boykotts gegen russische Sportlerinnen und Sportler? Da schlagen zwei Herzen in seiner Brust: „Ich bedauere gerade als Sportler sehr, was die jungen Aktiven in Russland akzeptieren müssen, obwohl sie ja oft überhaupt nicht wissen, was mit ihnen geschieht. Auf der anderen Seite aber muss sich in Russland endlich ein innerer Widerstand gegen diese Diktatur bilden, müssen Zeichen gesetzt werden, und wenn dies nicht von innen passiert, dann muss man auch diese Sanktionen von außen akzeptieren.“

Wichtig ist ihm unterdessen der Dank an sein direktes Umfeld, das ihn bedingungslos unterstützt. Und an die vielen Helferinnen und Helfer in seiner Wahlheimat: „Es war jedes Mal unglaublich, an der Grenze zu erleben, wie viele Fahrzeuge mit deutschem Kennzeichen ebenso wie ich mit Hilfsgütern vorfuhren, um dann mit Flüchtlingen wieder die Rückfahrt anzutreten. Ich bin von Herzen jenen Deutschen, jenen Sportlerinnen und Sportlern, Vereinen und Verbänden dankbar, die in dieser furchtbaren Situation den Menschen aus der Ukraine so viel Zuwendung und Menschlichkeit entgegenbringen.“

Vor einiger Zeit habe er drei junge ukrainische Mädchen in einem Handballklub in Pullach unterbringen dürfen, „es war einfach überwältigend, mit welcher Selbstverständlichkeit man sich ihrer angenommen hat". Kurze Zeit nach unserem Gespräch schickt Sascha per WhatsApp einen Artikel und Fotos von Kai Kipka und Frank Jäschke aus Hamm, die mehrmals auf eigene Gefahr ins Kriegsgebiet reisten, um selbst organisierte Medikamente und Operationsmaterial zu liefern. Über die beiden müsse man berichten, schreibt er. In seinen Augen sind sie Helden. In meinen Augen ist auch er einer. (Mitarbeit: Frank Schneller)

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