Diesen Triumph haben wir dem Keeper zu verdanken MT Melsungen -- Ex-Nationalapieler, Europameister, Vize-Weltmeister, heute Sportvorstand des Handball-Bundesligisten MT Melsungen
Kennerblick – Olympia 2024

Diesen Triumph haben wir dem Keeper zu verdanken

  • Michael Allendorf
Finale! Unser Experte Michael Allendorf (Sportvorstand MT Melsungen) blickt mit seinem Kennerblick auf die packende Halbfinalbegegnung gegen Spanien zurück und freut sich auf das Spiel um die Goldmedaille am Sonntag (13:30).
Es wird für Andreas Wolff keine größere Motivation vor dem Halbfinale gegen Spanien gegeben haben als die eigene Leistung im Viertelfinaldrama gegen Frankreich. Nachdem er am Mittwoch keine Parade zum Triumph unserer Jungs beitragen konnte und seinen Platz im Tor für David Späth räumen musste, war er heute sicherlich heiß wie selten zuvor. Oder gar wie nie zuvor.

Nicht nur, dass er schon einmal ein Finale gegen Spanien – 2016 bei der EM – mit einer Wahnsinns-Performance entschieden hatte. Nein: Er wollte in diesem Halbfinalkrimi ganz sicher mit aller Macht beweisen, zu welchen Leistungen er auch diesmal fähig ist. Dass er für sein Team auch bei diesen Olympischen Spielen da ist. Und das ist ihm gelungen. Die DHB-Auswahl gewann das Duell gegen die Spanier dank erneut herausragender Willenskraft, einer guten Abwehrleistung – und natürlich dank Wolff, der 50 Prozent der Bälle hielt und vor allem in der ‚Crunchtime‘ schier unbezwingbar war. 25:24 (12:12) lautete das Endergebnis, das uns ins Finale gegen Dänemark brachte. Die Dänen gewannen ebenso hauchdünn gegen Slowenien.

Wolffs Quote phänomenal wie Uscins‘ 14 Tore gegen Frankreich

Ich hab’s ja nach dem Frankreich-Spiel schon mal geschrieben: Die Mannschaft hat das Zeug, Olympia-Gold zu gewinnen. Sie setzt sich durch trotz einiger Probleme während dieser engen, nervenaufreibenden Spiele. Und sie hat in jeder Partie mindestens einen Akteur, der Weltklasseform erreicht. Irgendeiner ist immer da, der das Spiel aus dem Feuer reißt. Heute also war es Keeper Wolff. Seine 22 Paraden sind in etwa vergleichbar mit den 14 Toren Renars Uscins‘ gegen Frankreich. Immer wieder hielt er sein Team im Spiel.

Insbesondere als sich die Spanier nach ihrer ersten Führung zum 23:22 (50.) vielleicht vorentscheidend auf zwei Tore hätten absetzen können. Dabei hielt er zig Bälle aus der Nahwurfzone, frei vom Kreis. Nicht nur in der Schlussphase, aber vor allem dort. Phänomenal.

Apropos Renars Uscins: Kein Tor in Hälfte eins. Ausgewechselt. Man hätte annehmen können, sein Flow sei vorbei. Und dann kommt der Junge zur zweiten Halbzeit zurück und hat nach knapp zehn Minuten im Spiel fünf Tore auf der Uhr. Am Ende sogar sechs. Als wäre vor der Pause nix gewesen. Unglaublich, wie viel Chuzpe dieser Kerl hat. Wichtig auch besonders deshalb, weil wir insgesamt auch eine Menge freier Chancen liegengelassen haben. Uscins verkörpert diese so wichtige Haltung während eines solchen Turniers: Nicht so viel Gedanken machen. Einfach: Machen!

Niveau sinkt – kein Wunder: Turniermodus kostet viele Körner

Okay, man könnte trotz dieses riesigen Erfolges und der Goldmedaille vor Augen auch ein paar kritische Töne anstimmen: Mangelnde Durchschlagskraft im Angriff, recht viele Fehler, zu wenig Dynamik … – doch: Stopp! Das galt für beide Teams. Die Wahrheit ist: Das Niveau nimmt insgesamt immer mehr ab, im Vergleich zu den ersten Spielen der Gruppenphase sind die Spiele nicht mehr so hochklassig.

Das ist auch kein Wunder und schnell erklärt: Anders als bei EM- oder WM-Turnieren, wo die Aufgebote mehr Spieler umfassen und die Erholungsphasen zwischen den Partien länger sind, wird bei Olympia alle zwei Tage gespielt – je nach Uhrzeit bei Anpfiff liegen manchmal sogar deutlich weniger als 48 Stunden zwischen zwei Matches. Und das alles mit nur 14 bzw. 17 Spielern. Alle, die es ins Viertel- oder gar Halbfinale geschafft haben, haben mittlerweile eine Menge Körner gelassen. Mental wie physisch. Und das drückt sich zwangsläufig auf dem Spielfeld aus. Olympische Handballturniere sind die maximale Herausforderung für Kopf und Körper.  

Favorit? Außenseiter? Finals sind dazu da, gewonnen zu werden

Nun aber stehen die Jungs von Alfred Gislason im Finale. Und Finalspiele sind dazu da, gewonnen zu werden. Den einen Schritt kann dieses Team noch machen. Auch gegen Dänemark. Der Olympiasieger von 2016, der über zwei komplette Nationalteams auf Weltklasse-Niveau verfügt, aber letztlich auch nur mit 14 Spielern antreten können – ist vom Papier her Favorit. Mag alles sein.

Dennoch sind wir am Sonntag kein Außenseiter. Wir sind Titelkandidat. Wir haben gegen Schweden gewonnen, zweimal Spanien geschlagen, zudem Gastgeber, Europameister und Mitfavorit Frankreich bezwungen – das gibt viel Selbstvertrauen und wird die letzten Reserven aus unserer Mannschaft herausholen.

Nein, man muss nicht nach einer Favoritenrolle für Sonntag suchen. Wer in solch einem Endspiel steht, braucht in diesen Kategorien nicht mehr zu denken. Ich jedenfalls freue mich riesig auf dieses Duell um Gold.

In diesem Sinne: Bis dann!

Euer Michael Allendorf


Michael Allendorf Handball

Zur Person: Michael Allendorf

Michael Allendorf, Jahrgang 1986, spielte in der Bundesliga für die SG Wallau-Massenheim, die HSG Wetzlar sowie für MT Melsungen. Der Linksaußen kam auf insgesamt 493 Einsätze und erzielte 1.595 Tore. Für die A-Nationalmannschaft spielte er 17mal und warf 26 Tore. Seine größten Erfolge feierte der gebürtige Heppenheimer mit der A-Jugend Wallau-Massenheims (Deutscher Meister 2005) sowie als Junioren-Nationalspieler (Europameister 2006, Vize-Weltmeister 2007). In der letzten Saison seiner aktiven Laufbahn (2021/2022) schnupperte Allendorf bereits Manager-Luft als Assistent der Geschäftsleitung. Danach wechselte er komplett auf die Manager-Seite. Inzwischen verantwortet er als Sport-Vorstand der MT den Bundesligabereich der Nordhessen.    

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