Von den Kenianern lernen? Pro & Contra zum Nüchternlauf istockphoto.com/nycshooter

Von den Kenianern lernen? Pro & Contra zum Nüchternlauf

  • Marco Heibel
Sind Nüchternläufe eine Geheimwaffe, um den Fettstoffwechsel zu optimieren? Oder ist das Training auf leeren Magen eher gesundheitsschädlich? Kaum ein Thema ist so umstritten, wie Nüchternläufe. Wir haben Argumente für und gegen diese Methode gesammelt.

Der deutsche Topläufer Jan Fitschen schrieb jüngst in seinem Blog, dass er in letzter Zeit vermehrt nüchtern laufe. Diese Trainingsmethode habe er sich bei den Kenianern abgeschaut, die ihre Dauerläufe regelmäßig in den frühen Morgenstunden starten und vorher nichts frühstücken.

Keine Kohlenhydrate, mehr Fettverbrennung?


Die Idee dahinter ist nicht neu, aber immer noch hoch umstritten: Morgens nach dem Aufstehen sind die Glykogenspeicher nicht mehr ganz voll, und der Insulinspiegel ist niedrig. Trainiert man in diesem Zustand, greift der Körper vermehrt auf Körperfett als Brennstoff zurück. Dadurch wird der Fettstoffwechsel trainiert, so die Theorie.

Kritiker des Nüchtertrainings führen dagegen an, dass Fette im Feuer der Kohlenhydrate verbrennen. Durch das Laufen auf leeren Magen würden, nicht wie gewünscht, mehr Fette, sondern körpereigene Proteine aus dem Immunsystem und der Muskulatur verstoffwechselt.

Für beide Seiten gibt es stichhaltige Argumente. Doch wie so oft, könnte die Wahrheit in der Mitte liegen. Oder anders ausgedrückt: Ob ein Nüchterntraining sinnvoll ist, hängt von individuellen Faktoren, wie Dauer, Intensität, Veranlagung, Trainingszustand, Gewöhnung und den Trainingszielen ab.

Der Stoffwechsel ist komplex


Fakt ist: Der menschliche Körper ist keine Maschine. Unser Stoffwechsel lässt sich kaum auf die Funktionsweise eines Diesel- oder Ottomotors reduzieren. Uns stehen verschiedene Stoffwechselprozesse zur Energiegewinnung zur Verfügung, die stets zeitgleich nebeneinander ablaufen. Je nach Ernährung oder Belastungsintensität kann sich aber der Anteil der jeweiligen Oxidation an der Energiebereitstellung verschieben.

Der entscheidende Punkt dabei ist die Ernährung. Im nüchternen Zustand sind laut einer Studie mit Triathleten von Professor Kuno Hottenrott im Blut signifikant mehr freie Fettsäuren messbar, bzw. die Fettsäurenkonzentration sinkt deutlich nach der Einnahme des Frühstücks. Die Aktivierung des Fettstoffwechsels lasse sich demnach durch die Nahrungsaufnahme beeinflussen.

Nüchternläufe sind daher ein probates Mittel, um den Fettstoffwechsel zu trainieren. Bedenken sollte man dabei jedoch, dass ein Fettstoffwechseltraining nicht zwingend etwas mit Abnehmen zu tun hat. Vielmehr geht es darum, dem Körper beizubringen, mit seinen begrenzten Glykogenreserven zu haushalten. Führe ich ständig Kohlenhydrate zu, wird der Körper immer seinen bevorzugten Brennstoff verbrennen.

Die Ernährung sollte der Trainingsintensität angepasst werden


Sind die Glykogenvorräte aber weitgehend geleert und wird kein Zucker über die Nahrung aufgenommen, ist der Körper gezwungen, seinen Energiebedarf über Fette zu decken. Ganz ohne Kohlenhydrate geht es allerdings nicht. Ein kleiner Teil der Energiebereitstellung läuft immer über Kohlenhydrate, und mit steigender Intensität verschiebt sich die Energiebereitstellung auch weg von den Fetten.

Daraus resultiert ein weiterer Faktor, den man bei der Trainingsgestaltung berücksichtigen sollte: Intensive Trainingseinheiten sind in Low-Carb-Phasen wenig sinnvoll, weil der Körper den Glykogenmangel über die Glukogenese aus Aminosäuren kompensiert. Mit anderen Worten: Gehen uns bei intensiver Belastung die Kohlenhydrate aus, beginnt der Körper, Proteine aus der Muskulatur und dem Immunsystem zu verbrennen. Übertreibt man es mit dem Nüchterntraining, schwächt man damit zunehmend sein Immunsystem.



Will man seinen Fettstoffwechsel optimieren, sollte man daher erstens bei niedriger Intensität im GA1-Bereich trainieren und zweitens keine Nahrung mehr kurz vor dem Training aufnehmen. Absolviere ich drei bis vier Stunden nach dem Mittagessen einen ruhigen Dauerlauf, erziele ich vermutlich ein ähnliches Ergebnis wie bei einem Nüchternlauf. Für Berufstätige ist aber vermutlich der morgendliche Lauf am praktikabelsten.

Was hat das schon wieder mit Insulin zu tun?


Warum ist das so? Entscheidend für den Fettstoffwechsel ist das Speicherhormon Insulin. Mit jeder Nahrungsaufnahme strömen Nährstoffe ins Blut. Damit einhergehend steigt auch der Insulinspiegel und sorgt dafür, dass die Nährstoffe in die Zellen geschleust werden. Die aufgenommene Energie wird gewissermaßen verteilt. Dummerweise bremst die Energie von außen auch den Fettstoffwechsel aus.

Vor dem Frühstück, aber auch ein paar Stunden nach den Mahlzeiten, ist der Insulinspiegel deutlich abgesunken, und die Basis für ein effektives Fettstoffwechseltraining geschaffen. Für intensive Einheiten ist eine solche Ernährungsstrategie allerdings wenig sinnvoll. Nüchternläufe sind also kein Patentrezept für eine bessere Ausdauerleistungsfähigkeit oder den optimalen Fettstoffwechsel, sondern nur ein Trainingsmittel von vielen.

Damit die morgendlichen Nüchternläufe nicht kontraproduktiv werden, sollte man ein paar Dinge beachten:

• Hottenrott empfiehlt eine maximale Belastung von 30-60 Minuten auf leeren Magen. Läuft man deutlich länger, droht ein unerfahrener Läufer in einen „Hungerast“ zu laufen und sein Immunsystem zu schwächen.
• An Nüchtertraining sollte man sich langsam herantasten und es nicht zur täglichen Trainingsform machen. Ein Nüchternlauf pro Woche ist zunächst ausreichend.
• Vor dem Lauf solltest du ein Glas Wasser trinken. Ein Espresso oder ein schwarzer Kaffee kann den Fettstoffwechsel zusätzlich ankurbeln, wie Studien gezeigt haben.
• Bei längeren Läufen kannst du zwar nüchtern loslaufen, solltest aber nach 60 Minuten damit beginnen, Kohlenhydrate zuzuführen.

Abschließend bleibt noch die Frage zu klären, warum die Kenianer aus Jan Fitschens Blog-Eintrag vom 12.3.2012 anders machen. Jan selbst gibt eine These dazu ab:

„Die Kenianer starten ihre Dauerläufe tatsächlich fast immer morgens zwischen 6 und 7 Uhr. Da gibt es kein Frühstück vorher, da wird einfach los gerannt. Selbst beim langen Dauerlauf gibt es meist nur eine Kleinigkeit vorher. Und es wird auch nicht zwischendurch am Kiosk nach ner Cola gefragt. Ab dafür, mit nüchternem Magen. Das machen die Jungs und Mädels sicher nicht wegen neuster Sportwissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern einfach deshalb, weil man hier oft mangels Strom und aus Tradition bei Sonnenuntergang (also gegen 19/20Uhr) ins Bett geht und dann mit dem ersten Hahnenschrei wieder auf den Beinen ist. Und dann geht es halt zur Arbeit. Das ist einfach so. Ende der Argumentation. Vielleicht noch der Zusatz: 'that makes you strong'."

Andererseits ist aber auch der Fettstoffwechsel eines afrikanischen Läufers aufgrund der jahrzehntelangen Anpassung und eventuell auch wegen seiner Erbanlagen bereits so optimiert, dass er zwei bis drei Stunden ohne Nahrungsaufnahme laufen und dabei 80-90 Prozent seines Energiebedarfs aus Fetten decken kann. Dann würden jedenfalls auch rechnerisch teilgefüllte Glykogenspeicher ausreichen, um nahezu Marathonverdächtige Strecken zu bewältigen. Bevor Du das jetzt aber einfach nachmachst, solltest Du bedenken, dass beispielsweise der kenianische Marathon-Weltrekordler Patrick Makau auch im GA1-Bereich deutlich schneller sein wird als Du bzw. dass er diese langen Läufe für seine Verhältnisse relativ langsam absolviert.

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