Waldläufe sind nicht mehr State of the Art - Interview mit Oliver Schmidtlein
netzathleten.de: Lange Zeit wurde die Ausdauer auch bei Fußballern durch ausgedehnte Laufeinheiten trainiert. Das ist nicht mehr State of the art. Warum?
Oliver Schmidtlein: Weil man erkannt hat, dass es zwar hilfreich ist beim Fußballspiel ausdauernd zu sein, dass man aber gleichzeitig mit solchen Einheiten nur eine Eigenschaft trainiert, eben die Ausdauer. Fußball ist aber eine sehr komplexe Sportart, mit einem Bewegungsmuster, das dem Dauerlauf nicht entspricht. Daher ist es besser ist, die Ausdauer mit einem sportartspezifischen Bewegungsmuster zu trainieren. Das ist inzwischen auch wissenschaftlich bewiesen. Für den Fußballspieler bedeutet das: Es müssen Starts, Stopps und Richtungswechsel enthalten sein. Das Bewegungsmuster ist deshalb wichtig, weil es meinen Bewegungsapparat auf die kommenden Beanspruchungen vorbereitet.
netzathleten.de: Das heißt also, auch die Verletzungsprophylaxe spielt hier direkt mit rein.
Oliver Schmidtlein: Unbedingt. Entsprechende mechanische Belastung ist eine Bedingung dafür, dass das Gewebe sich daran gewöhnt. Und genau das möchte man damit erreichen, indem man Starts und Stopps in das Ausdauertraining mit einbaut. Das Gewebe und Bewegungsmuster, die eben dem Fußball entsprechen, sollen geschult und eintrainiert werden. Und wer den Fokus nur auf die Ausdauer legt, riskiert, dass andere Eigenschaften wie die Schnellkraft oder Sprintfähigkeit darunter leiden.
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netzathleten.de: Und wie baut man die Ausdauer dann fußballspezifisch auf? Welche Trainingsformen gibt es?
Oliver Schmidtlein: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, verschiedene Systeme. Je nachdem wie man eine Mannschaft an diese Art von Training heranführt, muss es in sich schlüssig sein. Das bedeutet: Ein Ausdauerlauf könnte einmal die Woche stattfinden, zum Beispiel am Tag nach dem Spiel im Rahmen einer Regenerationseinheit. Auch von der Intensität her würde das gut passen. Im Trainingslager kann man auch 30 Minuten Morgenlauf einplanen, praktisch als dritte Einheit.
Ansonsten versucht man das Ausdauertraining in Intervalltrainingseinheiten mit unterschiedlichen Bewegungsmustern zu gestalten. Der Überbegriff ist Repeated Sprint Abiltiy (RSA). Man kann mit einer Serie von Sprints die fußballspezifische Ausdauer trainieren. Beispielsweise beginnt man am Anfang eines Trainingslagers mit Laufzeiten von etwa sieben, acht Minuten am Stück. Idealerweise werden diese auf dem Fußballplatz und mit Fußballschuhen in Runden durchgeführt. Im Laufe der Vorbereitung werden diese Zeiten immer kürzer und werden dann mit Sprintserien vermischt. Dadurch erreicht man beide Ziele: Man trainiert die Grundausdauer, erhält sich aber gleichzeitig die Sprintfähigkeit.
netzathleten.de: Gibt es auch Möglichkeiten, die Ausdauer mit Ball zu trainieren?
Oliver Schmidtlein: Ja, die gibt es, gerade im Ausdauerbereich. Das spielen mit einem oder zwei Kontakten beim Spiel Drei-gegen-Drei oder Vier-gegen-Vier ist so eine Möglichkeit. Wenn sich aber ein Spieler rausnimmt, beispielsweise Laufwege nicht macht, sich nicht anbietet, dann hat es natürlich wenig Sinn. Der Spieler entzieht sich so in puncto Stoffwechsel dem Training. Das ist das Risiko beim Training mit Ball. Das erfordert dann viel Arbeit für den Trainer. Insofern ist ein Training ohne Ball in der Regel einfacher durchzuführen.
netzathleten.de: Nun hat nicht jeder Spieler den gleichen Fitnesslevel. Beim klassischen Ausdauertraining hat jeder seinen Pulsbereich, in dem er läuft. Wie kriegt man es hin, die Unterschiede auch beim fußballspezifischen Training zu berücksichtigen?
Oliver Schmidtlein: Es gibt Trainingsformen, die das berücksichtigen. Bei einem Prinzip beispielsweise werden elfmal 20 Meter mit maximaler Geschwindigkeit gesprintet, mit 20 bis 30 Sekunden Pause dazwischen. Nach dem elften Sprint wird der Puls gemessen und mit dieser Pulsfrequenz muss der Spieler dann noch acht Minuten Lauftraining absolvieren. So wird das Training individualisiert. In der Literatur sind aber noch einige mehr beschrieben und ich würde mich immer an welche halten, die schon von anderen erprobt sind.
Eine weitere Möglichkeit, die wir auch umgesetzt haben, ist das Einteilen der Mannschaft in Leistungsgruppen anhand der Daten aus der Leistungsdiagnostik. Diese Gruppen lässt man dann zum Beispiel vier Minuten laufen, aber in unterschiedlichen Geschwindigkeiten oder über unterschiedlich lange Laufstrecken. Bedingung dafür ist natürlich ein entsprechendes Trackingsystem. Mit ihm kann man das Training steuern und überprüfen. Ich denke um diese Investition kommt man auch als Verein mit kleinem Budget nicht herum.
netzathleten.de: Eine gute Grundlagenausdauer bildet das Fundament auf dem aufgebaut werden kann. Wir haben jetzt in erster Linie über die Vorbereitung gesprochen. Dennoch muss sie auch während der Saison konserviert werden. Wie häufig sollte man Grundlagenausdauereinheiten einbauen?
Oliver Schmidtlein: Auf jeden Fall sollten auch während der Saison alle Eigenschaften im Training integriert werden, egal ob das Ausdauer oder Schnelligkeit ist. Dabei muss man aber natürlich sehen, wieviel Zeit einem zur Verfügung steht. Bei einem Verein, der Bundesliga, Pokal und international spielt, kann man Ausdauertraining fast nur individualisiert machen. Auch hier müssen wieder Tracking-Devices zum Einsatz kommen. Das ist auch zentral für alle, die mit der Trainingssteuerung betraut sind, damit sie sich nicht nur auf ihre Erfahrung verlassen müssen, sondern auch konkrete Zahlen haben.
Die Grundlagenausdauer lässt sich ganz gut erhalten, indem man einen Lauf von 40 oder 60 Minuten einfach in die Regeneration einbaut oder über indirekte Methoden wie Vier-Minuten-Läufe ins Training integriert. Es wurde nachgewiesen, dass solche etwas längeren Intervalle alle Eigenschaften abdecken, die die Grundlagenausdauer betreffen. Sowohl Grundlagenausdauer 1 als auch Grundlagenausdauer 2, bei der etwas höhere Geschwindigkeiten gefordert sind, werden trainiert. Und sie sind effektiv. Wenn man einmal die Woche vier bis fünf solcher Vier-Minuten-Intervalle macht, ist man unter einer halben Stunde Zeitaufwand und hat eigentlich das getan, was man tun muss. Das gilt für einen Spieler der regelmäßig und häufig spielt. Jemand der nicht spielt, kann natürlich entsprechend mehr machen.
netzathleten.de: Wie sieht das im Hobby-Fußball aus, wo man ja in der Regel weniger Trainingseinheiten zur Verfügung hat?
Oliver Schmidtlein: Hier sieht es ein bisschen anders aus. Bei einem Hobby-Verein, der zweimal die Woche trainiert, würde ich sagen, dass die Spieler noch einmal die Woche alleine laufen müssen. Auch hier würde ich ihnen wieder eine ganz klare Vorgabe machen. Jeder hat heutzutage einen Pulsmesser oder Smartphone, das die Geschwindigkeit messen kann.
Wie genau diese Vorgabe aussieht, ist aber natürlich wieder vom Fitnesszustand des Spielers und der Phase der Vorbereitung oder Saison abhängig. In der ersten Phase müssen die Spieler etwas längere Läufe machen, je weiter die Vorbereitung fortgeschritten ist, desto kürzer und intensiver werden die Einheiten. Dabei muss es sich immer weiter dem Fußball nähern.
Man darf gerne im Amateurbereich mit klassischen Läufen anfangen, schließlich geht es hier auch häufig darum, erstmal überhaupt eine Grundfitness zu schaffen. Zweitens steht auch hier die Verletzungsprophylaxe im Vordergrund und eine gute, gesunde Ausdauer ist eine gute Verletzungsprophylaxe. Am Ende des Tages geht es aber trotzdem um Fußball und die höchsten Belastungen treten auf dem Platz auf – gerade im Amateurbereich ist der Einsatz im Spiel ja oftmals um ein Vielfaches höher als im Training. Es muss sich also wieder um ein fußballerisches Muster drehen.
netzathleten.de: Und wie könnte eine solche Trainingsform im Amateurbereich dann aussehen?
Oliver Schmidtlein: Eine Trainingsform, die ich jedem Amateurfußballer empfehlen würde und die man etwa ab zwei Wochen vor Saisonbeginn integriert, nennen wir 15-Sekunden-Läufe. Dabei läuft man von Strafraum zu Strafraum in 15 Sekunden und macht dann 15 Sekunden Pause. Anschließend geht es wieder zurück. Intensiver wird das Ganze, indem man beispielsweise vom Strafraum zur Mittellinie und zurück laufen lässt. Dann habe ich die gleiche Wegstrecke, aber mit einem Richtungswechsel. Noch schärfer wird die Übung, wenn ich zweimal vom Strafraum zur Grundlinie laufen lasse. Dann habe ich wieder die etwa gleiche Strecke, aber mit drei Richtungswechseln. Je nachdem wie jung oder fit meine Mannschaft ist, kann man so mit den Intensitäten spielen. 20 bis 30 solcher Läufe am Ende jedes Trainings und man bekommt seine Spieler auf ein gutes Fitnesslevel. Auch vom Bewegungsapparat her sind sie dann so vorbereitet, dass die Muskulatur nicht gleich fest und unelastisch wird, wenn mal ein Sprint abgebrochen werden muss.
Das Prinzip, das dahinter steckt, nennt man Laktat-Puffern. Nach etwa 10 Sekunden Belastung beginnt der Körper Laktat zu bilden. Nach einer Strecke hat er also drei, vier Sekunden Laktat gebildet, man bleibt stehen und puffert das ab. Das entspricht etwa dem, was während des Spiels abläuft. Man hat etwa alle 20 bis 40 Sekunden eine Aktion, die selten länger als 15 Sekunden dauert, dann hat man wieder eine kurze Pause. So gewöhnt man sich an dieses Stop and Go, laufen und stehenbleiben.