„100 Meter laufen kann jeder.“ – Interview mit Ulrike Schümann
- Ulrike Schümann
Netzathleten: Ulrike, Du bist mit Leib und Seele Seglerin. Aber wie kamst Du überhaupt zum Segelsport?
Ulrike: Ich bin durch eine Freundin zum Segeln gekommen. Ich war damals 6 Jahre alt und sie fragte mich, ob ich nicht mitkommen wollte, weil ihr allein langweilig war. Ich hab es damals ausprobiert und der Trainer sah wohl Talent in mir schlummern.
Netzathleten: Du bist in Deiner Crew die Steuerfrau. Wie kamst Du zu dieser Position?
Ulrike: Als ich klein war, habe ich im Opti angefangen zu segeln. Da ist man allein auf dem Boot. Ich habe dann viele Klassen ausprobiert und bin eine ganze Weile in einer Einhandjolle geblieben. 2000 habe ich dann kurz pausiert, weil mir mein Studium wichtiger war. Als ich 2001 wieder mit dem Segeln anfangen wollte, ist die Ynglings-Klasse als neue olympische Disziplin eingeführt worden. Damit ergab sich die Möglichkeit, mit einer Crew zu starten und das hatte mich schon immer gereizt. Ich setzte mich dann mit einigen Kolleginnen in Verbindung, die ebenfalls umsteigen wollten und fand auch recht bald ein Team. Das Steuer wollte ich jedoch immer selber in der Hand behalten.
Netzathleten: Wie gestaltet sich denn überhaupt das Training für Euch? Seid Ihr die meiste Zeit an Bord oder gibt es auch Training an Land?
Ulrike: Wir sind schon sehr viele Stunden auf dem Wasser. Es müssen alle Manöver eingeübt und irgendwann im Schlaf beherrscht werden. Wenn wir nicht auf dem Wasser sind, vertreiben wir uns die Zeit mit Konditionstraining, Theorie und Bootsbau.
Netzathleten: Es gibt beim Segeln unterschiedliche Segel-Klassen. Du warst früher in der Europe- und heute in der Yngling-Klasse. Gibt steuerungstechnisch gesehen einen Unterschied? Welchen?
Ulrike: Die Europe segelt man allein und es ist eine Jolle. Die ist sehr wendig und kippelig und kann auch kentern. Die Yngling ist ein Kielboot. Etwas langsamer und mehr strategisch zu segeln.
„Hundert Meter laufen kann jeder. Der Segelsport ist sehr komplex!“
Netzathleten: Was ist denn besonders schwer an Deinem Sport? Woran musstest Du am härtesten arbeiten?
Ulrike: Es gibt so viele Faktoren, die beim Segeln berücksichtigt werden müssen. Segeln ist ein sehr komplexer Sport. Da wäre einmal die Tatsache, dass wir keinen Mechaniker haben. Die Pflege, Wartung und auch die Entwicklung des Boots obliegt uns ganz allein. Dann muss man das Boot beherrschen. Allein dies zu erlernen, ist ein langwieriger Prozess. Bereits das Geradeausfahren ist für sich genommen schon schwer. Dann kommen natürlich auch noch Wind, Wetter und das Wasser mit seinen Strömungen dazu. Zudem muss die Mannschaft harmonieren und alle Abläufe und Manöver müssen aus dem FF beherrscht werden. Ganz abgesehen vom umfassenden Segel-Reglement, das man auswendig kennen muss. Auch psychische Faktoren spielen eine wichtige Rolle. Ein guter Segler muss Ruhe und Gelassenheit mitbringen. Viele scheitern schon daran, dass sie stundenlang auf Wind warten müssen und die Ausdauer nicht besitzen, sich während einer womöglich Stunden andauernden Flaute hinweg zu motivieren.
Netzathleten: Kam es einmal während einer Segeltour zu einem Zwischenfall, der Dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Ulrike: Klar, da gibt es viele. Ich erinnere mich besonders an eine spektakuläre Kenterung in Hyeres kurz vor dem Ziel. Die konnte man sich später sogar noch auf der Veranstaltungsseite per Video ansehen. Außerdem ist mir noch eine Trainingsregatta mit Delfinen im Gedächtnis, bei der wir vor lauter Begeisterung ganz die Konzentration auf das Training vergessen haben.
„Angst haben wir nicht!“
Netzathleten: Für viele Nicht-Segler ist das Segeln mit bestimmten Ängsten verbunden; beispielsweise Panik vor tiefen Gewässern, Haien, Unwettern oder Seekrankheit. Habt Ihr auch Ängste und Sorgen mit denen Ihr Euch herumplagen müsst, oder seid Ihr völlig angstfrei?
Ulrike: Nein, Angst darf man nicht haben und die haben wir auch nicht. Man hat natürlich den nötigen Respekt vor den Naturgewalten. Ich selbst bin schon ein paar Mal aus dem Boot geschleudert worden, aber im Großen und Ganzen sind wir ja auch nicht so wie bei den Weltumseglern wochenlang unterwegs. Unsere Touren dauern maximal eineinhalb Stunden, da kann nicht soviel passieren.
„Die deutschen Segler werden ungenügend gefördert. Wir müssen unseren Trainer aus eigener Tasche bezahlen!“
Netzathleten: Du bist aktive Sprecherin für den Deutschen Segler-Verband, der die Interessen der deutschen Segler vertritt. Was sind Deine Hauptaufgaben?
Ulrike: Im Moment haben wir viele Baustellen. Das gewichtigste Problem sind die Fördermittel. Das Fördersystem in Deutschland ist schlicht und ergreifend nicht ausreichend.
Du musst Dir vorstellen, dass der Segelsport zunächst einmal nicht gerade billig ist. Boot und Equipment sind nur die Spitze des Eisbergs. Dazu kommen immer die Transportwege und die Organisation. Meine Crew macht von vorn bis hinten wirklich alles selbst! Sogar unseren Trainer müssen wir aus der eigenen Tasche bezahlen. Es ist schon sehr frustrierend, dass wir als Athleten auf der Ebene, auf der wir segeln, zum Beispiel nebenbei noch Vollzeit arbeiten müssen, um diesen Sport überhaupt ermöglichen zu können.
Dann kommt noch das Problem hinzu, dass der Sport auf Außenstehende sehr schwer übertragbar ist. Die Euphorie und die Kunst werden ja nicht wirklich wahrgenommen. Man sieht uns nur in unseren Booten sitzen, und es kann sein, dass stundenlang nichts passiert. Das auch noch aus einer gewissen Distanz zu beobachten, macht nicht gerade einen spannenden Eindruck.
Netzathleten: Könnten die Medien mehr für den Segelsport tun?
Ulrike: Mit Sicherheit. Natürlich ist es aufwendig, das Ganze im TV zu bringen. Vieles muss beispielsweise aus dem Helikopter oder von Boyen aus gefilmt werden. Aber die Medien sind auch nicht das wahre Problem. Es muss sich innerhalb des Segler-Verbands einiges ändern. Es müssten mehr Gelder zu Verfügung gestellt und eine besser Versorgung und Förderung gewährleistet werden. Auch sollte alles weniger bürokratisch ablaufen, sondern näher am Sport.
Kurz gesagt, man muss mehr Perspektiven für den Segelsport bieten. Daran fehlt es im Moment. Speziell für den Nachwuchs müssen Anreize bestehen, segeln zu wollen. Wenn man beispielsweise nach Spanien rüber blickt und sieht, wie die Segelkollegen dort versorgt werden, dann tut das einem schon ziemlich weh.
Netzathleten: Und trotzdem ist Deine Begeisterung ungebrochen?
Ulrike: Ja natürlich. Ich bin Seglerin aus Leidenschaft. Wie gesagt, das Faszinierende ist das Komplexe zu beherrschen.
Netzathleten: Unabhängig von irgendwelchen Wettkämpfen, gibt es da ein Ort, wohin Du noch unbedingt hinsegeln möchtest?
Ulrike: Ich bin kein Freund von Weltumsegelungen. Ich würde gern mal eine Regatta in Australien oder vor den Virgin Islands segeln.
„Eine neue Boots-Klasse bei Olympia 2012 in London.“
Netzathleten: Wie sieht es den bei Euch für Olympia 2012 aus?
Ulrike: Wir müssen uns für die Olympischen Spiele neu orientieren, denn unsere Klasse, also die Yngling-Klasse, wird es so nicht mehr geben. Es wird dann eine neue Wettkampfart geben, nämlich das Matchrace, bei dem immer nur zwei Boote gegeneinander antreten und vereinfacht gesagt, das Boot gewinnt, das vorne liegt. Das Ganze läuft auch mit einem neuen Boot, Elliott genannt, ab. Deshalb ist erst mal hartes Training angesagt – aber eine Medaille bei Olympia, das wäre schon was.
Netzathleten: Seid ihr schon mit diesem neuen Bootsmodell gefahren?
Ulrike: Nein, das Boot ist eine spezielle Anfertigung aus Australien und kostet 25.000 Euro. Die Summe müssen wir auch erst einmal zusammenkriegen. Bis dahin trainieren wir mit der Yngling.