Interview mit Hans Kammerlander – Noch habe ich Ideen!
- Derk Hoberg
netzathleten: Herr Kammerlander, schön Sie hier zu sehen. Sie haben sich vor kurzem bei einem Skiunfall in Ihrer Heimat einen Rippenbruch samt Nierenriss zugezogen, wie geht es Ihnen heute?
Hans Kammerlander: Die Niere ist in meinen Augen schon wieder okay. Aber vollkommen wiederhergestellt bin ich noch nicht, die Rippe braucht noch etwas Zeit zum Verheilen. Da ich momentan auf meiner Vortragsreise aber nur erzählen muss, habe ich mir genau den richtigen Zeitpunkt für diesen Blödsinn ausgesucht.
netzathleten: Sie sind als Sohn einer Bergbauernfamilie aufgewachsen, gingen nie gern zur Schule, wollten immer raus in die Natur. Nachdem Sie zunächst den Beruf des Maurers lernten, brachen Sie schließlich aus und wurden Bergführer. Ist das der normale Weg, wenn man dieses besondere Berg-Gen in sich trägt?
Hans Kammerlander: Man muss natürlich zunächst etwas Anständiges lernen. Den Bergsport kann man anfangs nur nebenher machen. Zwar auch schon mit einer gewissen Intensität, jedoch musste ich die Zeit überbrücken bis ich 20 Jahre alt war, um Bergführer zu werden können. So sind die Gesetze nun mal. Das war mein Ziel, das ich dann auch erreicht habe. Danach hatte ich großes Glück, dass sich mir viele Wege nach ganz oben erschlossen haben.
netzathleten: Kommen wir auf einige Highlights Ihrer Bergkarriere zu sprechen. Dazu gehört zweifellos die bis heute nicht wiederholte Doppelüberschreitung zweier Achttausender (Gasherbrum II und Hidden Peak), gemeinsam mit Reinhold Messner. Sie waren dafür acht Tage in der eisigen Höhe und in extrem dünner Luft unterwegs. Wie hält man das aus, und woher nimmt man den Willen dazu?
Hans Kammerlander: Den Willen zu so etwas muss man sich über Jahre hinweg aufbauen, glaube ich. Irgendwann wird es eine natürliche Leidenschaft. Wobei das Wort Leidenschaft fast zu schwach ist, nennen wir es besser eine Sucht. Für Geld alleine kann man so etwas nicht machen. Zudem waren wir damals gewissermaßen mitten in einem alpinen Wettlauf, haben unsere gesamte Energie in die Verwirklichung unserer Ziele gesteckt und waren auch bestmöglich vorbereitet, will ich meinen.
netzathleten: Sie stellten auch einige Rekorde auf, so hielten Sie lange jenen für die schnellste Besteigung des Mount Everests (16 Std. , 40 Min). Warum hatten Sie es damals so eilig?
Hans Kammerlander: Vorher hatte ich eine ausgiebige Trekking-Tour gemacht und bin auf den Shisha Pangma, einen Achttausender in Tibet, gestiegen und war somit bestens akklimatisiert. Nach einer kurzen Pause ging es dann weiter zum Everest. Ich habe mich damals einfach entschlossen, abends mit einem Minirucksack zum Gipfel aufzubrechen. So, als ob ich hier in den Alpen zum Wandern gehen würde. Ein leichter Rucksack erlaubt einem erst einen solch schnellen Aufstieg. Ein leichter Rucksack verleiht einem so gesehen auch etwas Sicherheit. Insgesamt war es aber eine riskante Entscheidung, hatte ich doch außer einem Liter Tee keine weitere Verpflegung dabei. Umso wichtiger war meine Entschlossenheit, sofort wieder umzukehren, wenn auch nur eine Kleinigkeit nicht gestimmt hätte.
netzathleten: Anfang 2012 komplettierten Sie nun als erster Mensch die Seven Second Summits, standen auf den jeweils zweithöchsten Bergen der einzelnen Kontinente. War dieses Projekt ein Versuch, noch einmal etwas nie Dagewesenes im Bergsport zu erreichen?
Hans Kammerlander: Hauptsächlich wollte ich Kontinente kennenlernen, auf denen ich bisher noch nicht war. Das ist mir im Laufe der vergangenen Jahre immer wichtiger geworden. Nicht mehr immer nur Wände und Gipfel, sondern auch die Bedingungen um die Berge herum, die Natur dort und andere Kulturen kennenzulernen. Auf den Seven Summits selbst, geht es mir dafür viel zu turbulent zu. Da hat sich ein Massentourismus entwickelt, den ich nicht mag. Zudem sind die Second Summits teilweise sogar schwieriger zu besteigen, als die jeweils höchsten Gipfel, was das Ganze auch aus alpinistischer Sicht sehr interessant gemacht hat.
netzathleten: Es gab aber auch tragische Momente in Ihrer Karriere, wie den Verlust Ihrer Freunde Friedl Mutschlechner und Carlo Großrubatscher am Manaslu (8163 Meter), 1991. Sie waren traumatisiert. Die Sucht Berge zu besteigen, ließ Sie aber dennoch nicht los. Nur den Manaslu gingen Sie nie wieder an, Sie verzichteten wegen der Geschehnisse dort also auf den einzigen Ihnen noch fehlenden Achttausender. Unterscheidet Sie das von anderen Bergsteigern, die über Leichen gehen?
Hans Kammerlander: Ich weiß es nicht, ob mich das von anderen unterscheidet. Damals habe ich mich so entschieden, dachte, womöglich kommen da schreckliche Erinnerungen wieder in mir hoch. Wobei ich inzwischen nicht mehr sicher bin, ob ich heute noch einmal darauf verzichtet hätte, diesen Berg zu besteigen. 2006 verunglückte Luis Brugger bei unserem Versuch, den Jasemba (7350 Meter, d. Red.) zu besteigen. Dorthin kehrte ich aber zurück und ich hatte das Gefühl, dass mir die anschließende Besteigung dieses Berges geholfen hat, das Erlebte zu verarbeiten. Die Entscheidung von damals, den Manaslu nicht mehr zu versuchen, ist aber gefallen, und ich habe mich auch daran gehalten.
netzathleten: Tragische Ereignisse gehören beim Bergsteigen leider dazu. Lernt man irgendwann, damit routiniert umzugehen?
Hans Kammerlander: Auf keinen Fall. Die Freunde und Kollegen die ich verloren habe, standen mir am Berg sehr nahe, aber eben auch im Tal. Wenn man dann ohne sie wieder nach Hause kommt, ist das unbeschreiblich. Das sind Gefühle, die ich keinem Verbrecher an den Hals wünsche.
netzathleten: Sie hatten immer auch ausgefallene Ideen, zum Beispiel die vier Besteigungen des Matterhorns über vier verschiedene Routen binnen 24 Stunden. Wie kommt man auf so etwas, und was darf man in dieser Hinsicht zukünftig von Ihnen erwarten?
Hans Kammerlander: Es gibt so viele sehr gute Kletterer und Alpinisten auf der Welt, jedoch haben die meisten das Problem, überhaupt auf gute Ideen zu kommen. Sie sind dann ständig auf Wiederholungen fixiert, oder darauf, neue Routen zu finden in Wänden, in denen es schon 20 Routen gibt. Das ist gewiss eine der großen Schwierigkeiten heute, wenn man das Bergsteigen professionell betreiben will. Zum Glück habe ich noch genügend Ideen – meine ich zumindest.
netzathleten: Verraten Sie eine davon?
Hans Kammerlander: Ich werde bald losziehen, um die Matterhörner der Welt zu besteigen. Also ähnlich formschöne Berge wie das Matterhorn in der Schweiz. Die gibt es tatsächlich, und ich kenne so ungefähr 12 bis 14 Stück die so ähnlich aussehen und die von knapp 2000 Metern bis auf 7000 Meter hinaufreichen.
netzathleten: Wie sehen denn Ihre Trainingsumfänge heutzutage aus und wie lange denken Sie, sich solchen Projekten noch widmen zu können?
Hans Kammerlander: Naja, ich trainiere nicht mehr viel, ich gehe das alles sehr entspannt an. Ich halte mich natürlich fit mit Laufen, das ist auch meine Passion. Und ich suche mir Ziele aus, die ich aus meiner Routine heraus erreichen kann. Ich muss heute auch bei keinem Wettlauf mehr mitmachen. Die Erfahrung ist also da, die Freude an diesem Sport genauso. So lange das so bleibt, werde ich weitermachen. Natürlich werde ich die Ziele auch dem anpassen, was ich mir noch zutraue. Ich werde nicht mehr anfangen, irgendwo herumzumurksen, zu experimentieren. Dafür gibt es jüngere Generationen von Bergsteigern.
netzathleten: Bergsteiger sind in der Regel angenehme Gesprächspartner, sprechen sehr reflektiert über ihr eigenes Tun und Lassen. Auch Sie, Herr Kammerlander, haben mir diese Einschätzung in den letzten Minuten wieder einmal bestätigt. Liegt das an den extremen Erfahrungen, an der Gefahr, der Sie ständig ausgesetzt sind?
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netzathleten: Deshalb am Ende unseres Gesprächs auch noch ein sehr ernstes Thema: Etwas das Ihnen sehr am Herzen liegt, wie Sie auch in Ihrem Vortrag berichten, ist die Lage der Menschen in Tibet. Aktuell beschreibt der Bergsteiger Stephan Keck in seinem Buch „Solo mit Familie“, wie chinesische Soldaten tibetanische Mönche auf nacktem Fels mit den Füßen festfrieren lassen, nur weil sie ein Bild des Dalai Lama bei sich trugen. Mussten Sie während Ihrer zahlreichen Aufenthalte in Tibet ähnliche Gräueltaten miterleben?
Hans Kammerlander: Ich musste so etwas Schreckliches zum Glück nie mitansehen, jedoch habe ich schon furchtbares Filmmaterial gesehen. Ich bin kein Freund von China und habe wirklich eine enorme Abneigung gegen die brutalen Dinge, die die Chinesen mit der tibetanischen Bevölkerung anstellen. Vor allem was Menschenrechte angeht, diese Rechte haben sie dort wahrlich nicht mit Löffeln gegessen. Furchtbar.
netzathleten: Was empfinden Sie dabei, dass dieses Thema seit den Olympischen Spielen in Peking 2008 wieder so in den Hintergrund gerückt ist?
Hans Kammerlander: Ich verspüre absolute Machtlosigkeit. Leider wird die Welt nicht reagieren, weil es sich um China handelt, eine riesige Wirtschaftsmacht, die immer mehr an Bedeutung gewinnt. Es bleibt nichts anderes, als immer wieder auf diese fürchterlichen Missstände hinzuweisen.
Weitere Informationen zu Hans Kammerlander und seiner Vortragsreihe gibt es hier.