Warum Frauen langsamer laufen als Männer
- Marco Heibel
Frauen und Männer sprechen ähnlich auf Trainingsreize an. Bei beiden Geschlechtern erhöht sich bei entsprechender Dosierung die Sauerstoffaufnahmekapazität, der Körperfettanteil reduziert sich und ein genereller Leistungszuwachs stellt sich ein. Und doch kommen die besten Frauen in den Laufdisziplinen einfach nicht an die Zeiten der Männer heran. Woran liegt das?
Frauen sind anatomisch und physiologisch im Nachteil
Dass Männer beim Laufen besser abschneiden, hat mit vielen Faktoren zu tun, für die eine Athletin nichts kann. Schuld ist die Pubertät. Während der männliche Körper – kurz zusammengefasst – durch das Sexualhormon Testosteron muskulöser und somit geeigneter für sportliche Leistungen wird, machen die Damen dank des Östrogens eine Veränderung der anderen Art durch. Ihr Körper richtet sich auf eine mögliche Schwangerschaft ein: Das Becken wird breiter, der Körperfettanteil nimmt stärker zu, ihre Extremitäten wachsen weniger stark und ihr Körperschwerpunkt wird niedriger. Zudem sind ihr Herz- und Lungenvolumen sowie ihr Hämoglobinspiegel niedriger als beim Mann, weswegen eine Frau eine geringere maximale Sauerstoffaufnahmefähigkeit (VO2max) hat.
US-amerikanische Wissenschaftler haben versucht herauszufinden, welcher der oben genannten Faktoren den größten Einfluss auf die sportliche Diskrepanz zwischen den Geschlechtern hat, und wie es denn aussähe, wenn man Männer und Frauen unter „gleichen“ Bedingungen gegeneinander antreten lassen würde.
Ein Liter Blut beim Mann enthält im Schnitt rund 20 Gramm mehr Hämoglobin und kann daher rund 11 Prozent mehr Sauerstoff transportieren als die gleiche Menge Blutes einer Frau.
Eine Forschergruppe des Human Performance Laboratory der University of Georgia hat im Rahmen einer Studie zur Überprüfung der maximalen Sauerstoffaufnahmekapazität bei zehn männlichen Läufern einen Liter Blut entnommen, um ihre Hämoglobinkonzentration der der elf Läuferinnen anzugleichen, die ebenfalls an dem Experiment beteiligt waren. Durch die Blutentnahme war die Hämoglobinkonzentration bei den Männern auf 134 Gramm pro Liter gefallen, was genau dem Durchschnittswert der elf Probandinnen entsprach. Da eine Senkung des Hämaglobinwertes mit einer Senkung der VO2max einhergeht, fiel auch dieser Wert bei den Männern um 7 Prozent, womit in diesem Bereich ebenfalls annähernd gleiche Voraussetzungen geschaffen waren.
Bei dem Test selbst, einer Fahrt auf dem Ergometer mit stetig steigenden Widerständen, schnitten die Männer dennoch deutlich besser ab als die Damen. Damit war klar, dass der Hämaglobinspiegel allein nicht die entscheidende Größe für die Diskrepanzen sein kann.
Anknüpfend an die Erkenntnisse der obigen Studie führte das Georgia Institute of Technology ein weiterführendes Experiment durch. Die Forscher vertraten die Hypothese, dass sich des Rätsels Lösung hinter den unterschiedlichen Körperfettanteilen verbergen muss. Immerhin haben Frauen aufgrund der erhöhten Östrogenausschüttung ab der Pubertät einen um acht bis zehn Prozent höheren Körperfettanteil als gleich gut trainierte Männer.
In ihrer Studie ließen die Wissenschaftler 34 Männer und 34 Frauen über Wochen exakt das gleiche Training absolvieren, ermittelten ihre VO2max-Werte sowie ihren Körperfettanteil und baten die Probanden schließlich zum berühmt-berüchtigten Cooper-Test. Die Männer legten hierbei im Schnitt in 12 Minuten knapp 3.300 Meter zurück, die Frauen 2.750 Meter. Anders ausgedrückt: Die Leistungen der Männer waren zwar um ca. 20 Prozent besser, ihre VO2max-Werte lagen jedoch nur 5 Prozent über denen der Läuferinnen.
Extragewichte sollen Aufschluss geben
Daraufhin versuchten die Wissenschaftler, auf etwas unkonventionelle Weise gleiche Bedingungen herzustellen; nämlich, indem sie die Körperfettmasse anglichen. Die Läuferinnen hatten im Schnitt 9 Prozent mehr totes Gewicht mit sich herumzutragen, was nach Ansicht der Forscher die Hauptursache für die unterschiedliche Leistung sein musste. Dementsprechend wurden die Männer nun – abhängig von ihrer Körperfettmasse – mit 2 bis 11 Kilogramm Extragewichten behangen, und der Cooper-Test anschließend wiederholt.
Alles nur eine Frage der Ökonomie?
Die Folge: Der Leistungsunterschied zwischen den Geschlechtern wurde zwar kleiner, jedoch legten die Männer in den 12 Minuten immer noch im Schnitt 395 Meter mehr zurück als die Frauen (gegenüber 550 Meter beim ersten Mal).
Bringt also auch der geschlechtsspezifische Körperfettanteil kein Licht ins Dunkel? Nicht unbedingt, denn in einer letzten Untersuchung analysierten die Wissenschaftler den Laufstil der Männer und Frauen hinsichtlich der Ökonomie. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die Frauen mit verbesserter Technik annähernd die gleiche Strecke hätten zurücklegen können.
Allerdings darf man nicht vergessen, dass bei dieser Studie die Hämoglobinwerte nicht angeglichen wurden. Ebenso wenig sollte man außer Acht lassen, dass Weltklasseläuferinnen und -läufer in aller Regel sehr wohl über einen ökonomischen Stil verfügen.
Laut einer Untersuchung der University of South Georgia sind die Laufleistungen von Männern und Frauen fast identisch, wenn der prozentuale Körperfettanteil und der VO2max-Wert identisch sind. So geschehen bei je acht Läuferinnen und Läufern, die bei einem 15-Meilen Rennen teilnahmen. Sie hatten alle einen Körperfettanteil von 17 Prozent und eine ähnliche VO2max – und erreichten fast zeitglich das Ziel.
Alles in allem handelt es sich hier um interessante Rechenspielchen, mehr aber auch nicht. Frauen können die physiologischen Gegebenheiten nicht durchbrechen und werden daher bei gleichem Training und ähnlich ökonomischem Laufstil niemals schneller sein als Männer – sofern diese nicht mir Extragewichten und weniger Blut an den Start gehen. Auch ein Runterhungern auf einen extrem niedrigen Körperfettanteil kann nicht die Lösung sein, Stichwort Sport-Anorexie.
Marco Heibel