Alles richtig gemacht. Auch wenn nun Frankreich wartet. MT Melsungen -- Ex-Nationalapieler, Europameister, Vize-Weltmeister, heute Sportvorstand des Handball-Bundesligisten MT Melsungen
Kennerblick – Olympia 2024

Alles richtig gemacht. Auch wenn nun Frankreich wartet.

  • Michael Allendorf
Die Vorrunde des Olympischen Handball-Turniers ist Geschichte und das DHB-Team zieht als Sieger der Gruppe A ins Viertelfinale ein. Dort wartet mit Frankreich ein schwerer Brocken, weiß auch unser Experte Michael Allendorf (Sportvorstand MT Melsungen).
Soviel vorab: Hätte wirklich jemand gedacht, unser Team würde mit 8:2 Punkten am Ende der Vorrunde auf Platz eins in dieser hochkarätigen Gruppe stehen? Und das Viertelfinalticket schon vor dem letzten Spiel in der Tasche haben? Vermutlich nicht. Insofern gebührt den Jungs von Alfred Gislason wie auch dem Bundestrainer maximaler Respekt und ein großes Lob.

Auch in der abschließenden Partie gegen die zuvor punktgleichen Slowenen hat das DHB-Team wieder seine Leistung abgerufen. Die Checkliste lässt keine Wünsche offen: Klar gewonnen. Kräfte richtig eingeteilt. Die Spielanteile gut dosiert, somit auch den kurzfristigen Ausfall von Luca Witzke geschickt kompensiert. Und sich weitere Sicherheit geholt. Man kann also mit dieser Vorrunde total zufrieden sein. Was aber dieses 36:29 (23:14) gegen diese offenkundig taktierenden Slowenen – auch sie waren schon qualifiziert – wirklich wert ist, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Dieser Sieg jedenfalls ist der, über den ich mich am wenigsten freuen kann. 

Zur Erklärung: Ich will nicht so weit gehen, zu behaupten, der Sieg sei ein Muster ohne Wert. Das würde dem deutschen Auftritt nicht gerecht. Aber ganz klar zu erkennen war, dass eine der beiden Mannschaften im Viertelfinale Gastgeber Frankreich aus dem Weg gehen wollte. Auf solch ein Duell hatten die Slowenen definitiv keine Lust. Sie hatten keine Intensität in ihrem Spiel und ließen zu, dass die Partie nach 15 Minuten eher einem besseren Freundschaftsspiel glich. Ihr Auftreten und Personal-Karussell lassen wenig andere Rückschlüsse zu. Übrigens haben sie auch gar nicht erst versucht, das nach der Partie zu dementieren.

Bewusst ein paar Gänge rausnehmen – nicht in unserer DNA

Als ich vor dem Spiel mit unserem – international ja sehr erfahrenen – MT-Trainer Roberto Garcia Parrondo telefonierte, sagte der mir schon einen klaren deutschen Sieg voraus. Er wusste: Nicht überall herrscht eine Mentalität wie sie die deutsche Mannschaft an den Tag legte, nämlich auf Sieg zu spielen ungeachtet der Tabellenkonstellation und des möglichen Viertelfinalgegners. Andere Nationen, andere Teams sind da viel eher mal bereit, auf die Bremse zu treten, zu taktieren und zu kalkulieren.

Eine deutsche Tugend ist diese vermeintliche und mindestens fragwürdige ‚Cleverness‘ nicht. Dazu sollten und können wir auch stehen. Ich erinnere nur an die Fußball-EM, als die DFB-Auswahl im letzten Gruppenspiel gegen die Schweiz auf den Ausgleich drängte und ihn kurz vor Schluss auch noch schaffte, obwohl klar war, dass dieses Resultat ihnen im weiteren Turnierverlauf die hochfavorisierten Spanier bescheren würde. Der Ärger der Schweizer über das späte Gegentor zum 1:1 hielt sich entsprechend in Grenzen.

Nun also treffen wir auf Frankreich – eine Entwicklung, die auch das DHB-Team vor Beginn der Olympischen Spiele vermeiden wollte. Davon ausgehend allerdings, dass die Franzosen in der Parallelgruppe Erster oder Zweiter werden würden – und man selbst die eigene Gruppe wohl nicht gewinnen würde können. Skurril: Nun beschert uns ausgerechnet der eigene erste Platz die Franzosen trotzdem, da der amtierende Europameister entgegen seiner Favoritenrolle nur knapp einem vorzeitigen Aus entging. Mit dem abschließenden Zittersieg über Ungarn rettete das Star-Ensemble gerade noch Platz vier.   

Im Schnelldurchlauf: Spiel zwischen 15. und 30. Min entschieden       

Kurz zum deutschen Spiel gegen die Slowenen: Wie sehr das von mir immer wieder hervorgehobene Abwehrspiel in Verbindung mit einem starken Torhüter die Performance der deutschen Mannschaft prägt, konnte man auch am Sonntagnachmittag sehen: Als Andreas Wolff nach rund 15 Minuten immer besser ins Spiel fand und auch seine Vorderleute im Deckungsverbund stabiler wurden, machten unsere Jungs aus einem knappen Rückstand eine Neun-Tore-Führung. Von 13:13 auf 23:14 davonzuziehen, brachte die Entscheidung. Erste und zweite Welle funktionierten dank der kompakten Defensive und dem in diesem Zeitfenster glänzend aufgelegten Wolff besonders gut.

Zur Pause also war das Spiel schon ‚durch‘. Es konnte von nun an verwaltet werden. Alfred Gislason hatte schon viel früher damit begonnen, der bisherigen ‚zweiten Garde‘ mehr Spielanteile und dem Stammpersonal mehr Pausen zu gönnen. Über weite Strecken lief das ohne Qualitätsverlust ab, die neue Rückraumformation mit Sebastian Heymann, Marko Grgic und Kai Häfner rechtfertigte ihre Einsatzzeit – die drei warfen zusammen 17 Tore – und auch der ins Team zurückgekehrte Jannik Kohlbacher kam am Kreis endlich besser zur Geltung, was ‚Dauerbrenner‘ Johannes Golla wichtige Pausen ermöglichte.

Juri Knorr, Renars Uscins und Julian Köster dürften ihre Erholungsphasen ebenso gutgetan haben. Auf sie alle wird es nach dem Umzug nach Lille gegen Frankreich wieder besonders ankommen. Es wird das große Duell, das die DHB-Entourage eigentlich nicht schon im Viertelfinale haben wollte. Nun aber ist es so, die Jungs haben sich bewusst darauf eingelassen, weil sie gegen Slowenien nicht ‚abschenken‘ wollten – und ich finde das richtig!

DHB-Team Außenseiter? Rollenverteilung nicht mehr eindeutig

Die Vorzeichen allerdings sind ganz andere. Tabellarisch, aber auch mental. Die Franzosen, die wir ja auch in der Vorbereitung auf das Olympia-Turnier bereits geschlagen haben – wobei man solchen Resultaten nie zu viel Bedeutung beimessen darf –, dürften zur Kenntnis genommen haben, wie toll sich das deutsche Team bislang präsentiert. Dass es an Stabilität und Wettkampfhärte im Vergleich zur EM hinzugewonnen hat. Alfred Gislasons Männer sollten sich einfach freuen auf diese Herausforderung.

Ich drücke beiden DHB-Teams – auch die Frauen treffen im Viertelfinale ja auf Gastgeber Frankreich, wenngleich unter völlig konträren Vorzeichen – die Daumen. Unseren Jungs traue ich eine weitere Überraschung zu. Wobei: Wäre es angesichts des bisherigen Turnierverlaufs überhaupt noch eine? Die Rollenverteilung jedenfalls ist längst nicht mehr so eindeutig, wie sie vor Olympia schien.

Bis zum nächsten Mal!

Euer Michael Allendorf       


Michael Allendorf Handball

Zur Person: Michael Allendorf

Michael Allendorf, Jahrgang 1986, spielte in der Bundesliga für die SG Wallau-Massenheim, die HSG Wetzlar sowie für MT Melsungen. Der Linksaußen kam auf insgesamt 493 Einsätze und erzielte 1.595 Tore. Für die A-Nationalmannschaft spielte er 17mal und warf 26 Tore. Seine größten Erfolge feierte der gebürtige Heppenheimer mit der A-Jugend Wallau-Massenheims (Deutscher Meister 2005) sowie als Junioren-Nationalspieler (Europameister 2006, Vize-Weltmeister 2007). In der letzten Saison seiner aktiven Laufbahn (2021/2022) schnupperte Allendorf bereits Manager-Luft als Assistent der Geschäftsleitung. Danach wechselte er komplett auf die Manager-Seite. Inzwischen verantwortet er als Sport-Vorstand der MT den Bundesligabereich der Nordhessen.    

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