Mark Verstegen im Interview: Mythen und Infos zum Dehnen Gerhard Blank; Mark Verstegen (l.) erklärt, wie man sich als Radfahrer richtig dehnt

Mark Verstegen im Interview: Mythen und Infos zum Dehnen

  • Stefan Schnürle
Mark Verstegen ist einer der bekanntesten Fitnessexperten der Welt. Daher nutzten wir bei einem Fitnesscenter-Besuch von Verstegen die Gelegenheit, um mit ihm über das Dehnen zu sprechen und einige Mythen dazu genauer unter die Lupe zu nehmen.

Verstegen hat unter anderem als Fitnesstrainer die deutsche Nationalmannschaft 2006 und 2010 auf die Fußball-Weltmeisterschaft vorbereitet. Zudem ist er Eigentümer der Trainingszentren „Athletes‘ Performance“. Dort leitet der US-Amerikaner Teams von Sport und Ernährungsexperten, die weltweit Spitzensportler trainieren.

Damit auch Fitness und Reisen zukünftig Hand in Hand gehen, hat „Sheraton Hotels & Resorts“ in Zusammenarbeit mit Verstegen ein neues Trainingsprogramm namens „Sheraton Fitness by Core Performance“ eingeführt.

netzathleten.de: Ist es richtig, dass Dehnen vor Verletzungen schützt?
Mark Verstegen: Ich würde sagen, das ist eine Legende. Aber es ist ein Teil der Gleichung, damit ein Sportler gesund bleibt. Um einen Athleten in Topform und gesund zu halten, müssen vier Komponenten zusammenkommen. 1. Du brauchst den richtigen Plan, die richtige Denkweise und Einstellung. 2. Deine Ernährung entscheidet, ob du gesund bleibst. Wenn du ungesunde Sachen isst und trinkst, wirst du mehr Probleme mit Verletzungen haben. 3. Auch die Qualität deiner Bewegung, wie du dich bewegst und dehnst, ist äußerst wichtig. Und der vierte und letzte Teil ist die Erholung. Es ist wichtig komplette Erholungstage einzulegen. Mehr Flexibilität durch Dehnen zu erlangen allein, ist nicht die Antwort. Es geht darum, die richtige Balance zu finden. Deshalb muss man die richtigen Dinge tun, bevor man ins Bett geht und nachdem man aufwacht.

netzathleten.de: Was sind denn Dinge, die man vor dem zu Bett gehen und nach dem Aufstehen tun sollte?
Mark Verstegen: Idealerweise sollte man eine Selbstmassage mit einem Massage-Roller durchführen, bevor man zu Bett geht. Das entspannt den Körper. Aber auch statisches Stretching ist gut. Drei, vier Übungen, während du TV schaust, helfen Körper und Geist zu entspannen. Nach dem Aufstehen solltest du ebenfalls zwei, drei dieser Übungen durchführen, ehe du zu aktiveren Übungen übergehst. Wenn du dir jeden Morgen ein wenig Zeit dafür nimmst, wirst du bald in exzellenter gesundheitlicher Verfassung sein. Zehn Minuten täglich ersetzen 48 Stunden Training im Jahr. Es wird deine Leistungen und deine Gesundheit verbessern, während sich deine Verletzungsanfälligkeit verringert.

netzathleten.de: Lange Zeit galt der Leitsatz „Dehnen kann vor Muskelkater schützen.“ Wie ist deine Meinung dazu?
Mark Verstegen: Nein, 100% davor schützen kann er nicht. Aber die Art deines Aufwärmens hat zumindest Einfluss darauf den Muskelkater zu verringern. Beinhalten deine ersten Muskel-Bewegungen Hochgeschwindigkeits-Übungen und sind hoch dynamisch, steigt die Wahrscheinlichkeit für einen Muskelkater. Wenn du dich dafür hingegen gut vorbereitest, ist die Chance geringer.

netzathleten.de: Was sollte man beim Aufwärmen tun, um Muskelverletzungen vorzubeugen?
Mark Verstegen: Zum Beispiel eine Dehnübung machen, die wir „The World's Greatest Stretch“ nennen. Sie ist gut für die Hüftflexibilität, was ein wichtiges Thema beim Stretching sein sollte. Besonders bei Leuten, die oft reisen, sind die Hüften oft sperrig. Daher ist die Verbesserung der Hüftflexibilität ein wichtiger Schwerpunkt bei Sheraton Fitness. (Anm. d. Red.: Hier findet ihr die Übung)



netzathleten.de: Kann man durch Dehnen sogar Stress abbauen?
Mark Verstegen: Absolut. Dehnen ist sehr hilfreich, um Stress zu reduzieren. Es hilft Körper und Geist zu beruhigen. Das ist aber natürlich von der Art des Dehnens abhängig. Ein weiterer wichtiger Schlüssel beim Dehnen ist das richtige Atmen. Denn die Atemtechnik hat auch Einfluss auf das autonome Nervensystem. Keine Schulteratmung, sondern tief einatmen heißt die Losung. Es kann helfen, Körper und Geist zu entspannen. Das ist der Grund, weshalb viele Leute Yoga genießen.

netzathleten.de: In Sportvereinen sieht man häufig Kinder, die bereits vor dem Aufwärmen actionreiche Handlungen ausüben. Zum Beispiel schießen viele Kinder, sobald sie einen Fußballplatz betreten haben, direkt auf das Tor. Trainer schreien sie dann oft an, das zu unterlassen, weil ihre Muskelfasern sonst reißen würden. Ist die Gefahr für die Kinder wirklich so groß?
Mark Verstegen: Nein, das ist Quatsch. Ich gebe dir ein Beispiel. Ein brandneues Auto ist zu Beginn großartig, oder? Du kannst vermutlich 50.000 Kilometer damit fahren und alles läuft hervorragend, ohne dass du auf Reifendruck, Öl und so weiter achten musst. Erst nach dieser Distanz werden Unterschiede zwischen Menschen auftreten, die auf ihr Auto achten und Leuten, die es nicht tun. Lasst die Kinder spielen. Sie werden sich nicht selbst wehtun. Bei Teenagern, die gerade einen Wachstumsschub durchmachen, ist das eine andere Geschichte. Hier ist es wichtig, dass sie auf ihren Körper achten, damit er nach dem Wachstumsschub weiterhin gut funktioniert. Einige vergessen das leider und haben danach oft eine schlechte Haltung und steife Bewegungen. Dann kommen 18-Jährige zu uns, bei denen du denkst, du musst das komplette „Auto“ zerlegen, ehe es wieder einigermaßen läuft.

netzathleten.de: Wann ist die beste Zeit bei einem Training für welche Übungen?
Mark Verstegen: Vor Beginn des Trainings sollte man sich fünf Minuten aktiv aufwärmen. Beim DFB haben wir dabei auch einige Übungen für die Hüfte gemacht. Während des Trainings ist Dehnen durchaus sinnvoll, speziell, wenn man Krafttraining macht. Zwischen zwei Sätzen Bankpressen kann zum Beispiel eine aktive Brust-Dehnübung ausgeführt werden, um den Rücken zu entlasten. Wichtig ist, dass die Mobilität und Kräftigung immer abwechselnd trainiert wird. Muskeln müssen optimal lang sein, damit sie greifen und kontrahieren können. Nach dem Training kannst du nichts oder einige statische Übungen machen. Bei einem intensiven Training solltest du aber erst einige Zeit warten, ehe du mit leichten Stretchingübungen beginnst.

netzathleten.de: Wie unterscheidet sich das Dehnen am Wettkampftag zum Dehnen an einem Trainingstag? Und was würdest du Sportlern nach dem Wettkampf empfehlen?
Mark Verstegen: Wenn du die eigentliche Vorbereitung in den Tagen und Wochen zuvor erledigt hast und dein Körper bereits in Top-Verfassung ist, musst du an Wettkampf-Tagen nicht so viel tun. Du solltest nur den Körper kurz anschalten, um sicherzustellen, dass alles fließt. Hast du eine lange Autofahrt hinter dir, musst du das System oft kurz neu starten. Dabei ist wichtig, dass die Aktivität kurz, aber von hoher Intensität ist. Ein paar dynamische, elastische Bewegungen regen das Nervensystem an. Nach dem Wettkampf spielt die richtige Ernährung eine große Rolle. Außerdem solltest du dich abkühlen, zum Beispiel kalt duschen oder ein kaltes Bad nehmen. Erst danach kannst du über leichte Dehnübungen nachdenken. Nach einem anstrengenden Wettkampf ist es jedoch meist besser nur die Energie wieder aufzuladen und erst am nächsten Tag Flexibilitäts-Übungen zur Erholung zu machen.

Hier könnt ihr euch "The Worlds Greatest Stretch" anschauen.

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